Ohne Zweifel: Die wichtigsten Fotokünstler der Welt
Eine in ihrer Absolutheit so absurde Aussage, dass der Inhalt nur falsch sein kann? Ja, natürlich, aber:
Bernd und Hilla Becher belegen aktuell Platz 144 der Kunst-Weltbestenliste von Artfacts und waren noch bis vor wenigen Jahren lange Zeit unter den hundert besten Künstlern der Welt zu finden. Sie gehören damit zur Crème de la Crème der Kunstwelt, und das schon eine sehr lange Zeit.
Jeder Mensch, der in seinem Leben mehr aus dem Bereich „Kunst und Kultur“ mitbekommen hat als die reine Vokabel „Kunst“, kennt Bernd und Hilla Becher (auch wenn viele jüngere Kunstbegeisterte nicht mehr wissen, was die genau gemacht haben …). Jeder künstlerisch tätige Fotograf auf dieser Welt kennt Bernd und Hilla Becher, ihr Werk und Details ihrer Laufbahn.
Denken Sie sich die „fast“ und „vermutlich“ und andere eigentlich der Ausgewogenheit geschuldete Einschränkungen dazu; Aber ungefähr so sieht es aus, weil ein guter Teil der besten Fotografen der Welt durch die „Becher-Schule“ ging: Thomas Ruff ist Fotokünstler und Nr. 12 der Weltbestenliste, der gleicher Profession nachgehende Thomas Struth folgt auf Platz 52, Andreas Gursky ist die Nr. 55 und Candida Höfer Nr. 99.
Unter den 100 herausragendsten Künstlern der Welt konzentrieren sich acht ganz auf das Medium Fotografie, von denen vier der von Bernd und Hilla Becher begründeten „Düsseldorfer Schule“ entstammen.
Die restlichen vier (Nan Goldin, Robert Mapplethorpe, Cindy Sherman, Wolfgang Tillmans) hatten schon aus rein geographischen Gründen wenig Chancen, Bernd und Hilla Becher „Düsseldorfer Schule“ zu besuchen, mussten sich aber in ihrer Ausbildung mit Sicherheit mit den Besonderheiten der durch Bernd und Hilla Becher vermittelten fotografischen Kunst auseinandersetzen.
Kein schlechter Schnitt; und wenn der Fokus von der internationalen auf die deutsche Fotokunst gelenkt wird, fand sich lange Zeit nur mit Mühe ein Fotokünstler, der nicht durch Bernd und Hilla Bechers „Gehirn und Auge“ gegangen war: Axel Hütte (Nr. 958), Jörg Sasse (Nr. 1144), Boris Becker (Nr. 1886), Bernhard Fuchs (Nr. 2385), Simone Nieweg (Nr. 3883), Elger Esser (Nr. 5749) und Petra Wunderlich (Nr. 8691), Laurenz Berges, Volker Döhne, Claus Goedicke, Claudia Fährenkemper, Tata Ronkholz – alles bekannte deutsche Fotokünstler, alle Becher-Schüler.
Pionierarbeit für die Fotokunst
Darin – und nicht nur in dem gewaltigen, bis zur Verehrung bestaunten Gesamtwerk fotografischer Kunst, das Bernd und Hilla Becher hinterlassen haben – liegt auch der wahre Grund, dass Kenner der Fotokunst Ehrfurcht in der Stimme haben, wenn es um Bernd und Hilla Becher geht: Die beiden haben Fotografie-Kunst am laufenden Band produziert.
Bernd und Hilla Becher haben zu einem erheblichen Teil dazu beigetragen, dass diese Fotografen überhaupt als Künstler angesehen werden. Sie sind nämlich zu einem ganz entscheidenden Teil mit dafür verantwortlich, dass die Kunst der Fotografie auch von den deutschen Kunstwissenschaftlern (und den ihnen folgenden Medien, und dem diesen folgenden Volk im deutschsprachigen Raum) als Kunst eingestuft wird.
Bernd und Hilla Becher haben erreicht, dass Fotografen Kunst machen dürfen, sie haben die Fotografie zur Kunst gemacht.“

Fotografie von Praemium Erasmianum Foundation [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons
Dies als Teil einer Entwicklung, die in allen Kunstzentren der Welt Parallelen hatte. Aber in Deutschland bzw. dem ganzen deutschen Kulturkreis waren Bernd und Hilla Becher unter den entscheidenden Vorkämpfern für die Anerkennung der künstlerischen Fotografie.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts bemühen sich Fotografen darum, dass die von ihnen angefertigten Werke auch als Kunst anzusehen sein können.
Unabhängig davon, ob es sich „nur um die reine fotografische Abbildung“ handelt oder ob die Fotografie als eines von mehreren Medien bei der Erstellung eines Kunstwerks eine Rolle spielte.
Selbstverständlich konnten die Fotografen viele Erfolge auf dem Weg der Anerkennung „ihrer Kunstform“ verbuchen, weil nach allen gängigen Definitionen des Kunstbegriffs Fotografien ebenso gut Kunstwerke sein können wie Performances ohne Bewegung, Zwei-Wort-Gedichte oder Fettecken.
Aber noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeichnete einer der einflussreichsten Soziologen der damaligen Zeit, der Franzose Pierre Félix Bourdieu (1930 – 2002) die Fotografie als „illegitime Kunst“; noch im Jahr 2014 wird in einer Dissertation an der Freien Universität Berlin das Problemfeld der „Fotografie zwischen Kunst und Dokumentation“ untersucht.
Die Kunst der Fotografie brauchte zu den Hauptschaffenszeiten von Bernd und Hilla Becher (ca. 1960 bis 2000) also immer noch dringend Leuchtturm-Künstler und Fürsprecher (und heute, wo die Zeichen auf Freiheitseinschränkung stehen, braucht sie sie vermutlich bald wieder).
Um sich mit merkbarem Einfluss daran zu beteiligen, der Fotografie einen entscheidenden Schubs in Richtung „Akzeptanz als Kunst“ zu geben, mussten Bernd und Hilla Becher aber selbst erst einmal zu einflussreichen Personen und zu Fotografie-Künstlern werden. Zu ihrer Zeit ein gewaltiges Vorhaben, nicht unklug, es zu zweit anzugehen:
Bernd und Hilla Bechers Weg in die Kunst
Künstler wird man nicht von selbst, auch Bernd und Hilla Becher nicht (obwohl die beiden dem „von selbst Kunst werden“ in ihrem Werdegang schon ziemlich nahekommen). Bevor Bernd und Hilla Becher zu dem in einem Wort benannten Kunst-Ehepaar „Bernd-und-Hilla-Becher“ wurden, die mit vereinten Kräften für die Fotokunst wirkten, waren die beiden aber erst einmal Einzelpersonen.
Bernd Becher – über eine Handwerkslehre zur Fotokunst
Bernd Becher heißt eigentlich Bernhard Becher, wurde am 20. August 1931 in Siegen geboren und hatte früh mit der handwerklichen Seite der Kunst zu tun: Sein Vater war Inhaber eines Betriebes für Dekorationsmalerei, in dem Bernd Becher nach der Schule zunächst eine Lehre absolvierte (1947 bis 1950); vielleicht mit der Idee, dass das Handwerk in der Familie bleibt.
Nach der Lehre verbrachte Bernd Becher einige (Fortbildungs-?) Zeit in Italien, um dann ab 1953 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart Freie Grafik zu studieren, u. a. bei Karl Rössing. Mit dem österreichischen Graphiker und Buchillustrator Karl Rössing (1897 – 1987) als Lehrmeister standen die Zeichen mehr auf Kunst als auf Handwerk:
Rössing hatte sich in Holzstichen (1917 bis 1950), Linolschnitten und Holztafeldrucken (1950 bis ca. 1983), Bildern und Zeichnungen (1981 bis 1987 und schon in Frühzeiten immer wieder zwischendurch) ausgedrückt und gehörte trotz dieser teils sehr traditionellen Medien zu den fortschrittlichen Zeitgenossen des letzten Jahrhunderts. Er hat z. B. bei der Künstlervereinigung „Neue Sezession“ in München ausgestellt, an der „Internationalen Schwarz-Weiß-Ausstellung“ der Salzburger Künstlervereinigung „Der Wassermann“ von 1921 (zusammen mit Ernst Barlach, George Grosz, Alfred Kubin und Käthe Kollwitz) teilgenommen. Auch hat er sich an der legendären Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ 1925 in Mannheim beteiligt.
Rössing arbeitete tendenziell surrealistisch, mit Anklängen an die Neue Sachlichkeit und unter Verarbeitung vieler Anregungen aus den neuesten Filmen und der Literatur; Seine ungewöhnlich kombinierten Werke aus scheinbar fremden und geheimnisvollen Welten gehörten eindeutig in den Bereich der Kunst und nicht zur Gebrauchsgrafik.
Fotografische Dokumentation: Industriedenkmäler der Moderne
Bei diesem Mann machte Becher 1956 seinen Abschluss als staatlich geprüfter Freier Grafiker und begann zu etwa dieser Zeit, die ersten Industriedenkmäler der Moderne zu zeichnen, z. B. die Stege, Türme und Treppen der „Grube Eisenhardter Tiefbau“ im Siegerland (Betriebsbeginn 11. Mai 1859, Betriebseinstellung 30. Juni 1957).
Diese Zeichnungen waren für Bernd Becher der Anlass, sich der Fotografie zuzuwenden: Er wollte den Industrietrakt in allen Details vollständig erfassen, hatte aber nicht die Zeit für die Anfertigung genauer Zeichnungen, weil der Abriss der Anlage begann – weshalb sich Becher eine Kleinbildkamera auslieh, um die Grube „wenigstens im Foto zu dokumentieren“.

Foto von Hoger, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Dies war der Auftakt zu einer der berühmtesten Foto-Serien des 20. Jahrhunderts, begleitet von einem Leben in einem Spannungsfeld zwischen Fotografie, Kunst und Dokumentation, das auch heute bisher nicht seine Relevanz verloren hat.
Bevor es richtig losging, fügte Becher seiner künstlerischen Ausbildung aber noch entscheidende Fachkenntnisse hinzu: Er ließ sich an der Düsseldorfer Kunstakademie zum Typografen ausbilden (1959 bis 1961). Dieses Studium der Kunst der Gestaltung eines gedruckten Werks umfasste den Entwurf und die Kombination von Layout, Satzschrift, Papierauswahl, Einband usw. Es sollte einen maßgeblichen Einfluss auf das Werk haben, das er später in Zusammenarbeit mit seiner Frau Hilla entwickelte.
Hilla Becher – mit 13 Jahren die erste Kamera

Bildquelle: Gampe, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Hilla Becher wurde am 2. September 1934 in Potsdam als Hildegard Wobeser geboren. Sie wuchs in einer großbürgerlichen Familie mit drei Geschwistern auf. Über ihre Mutter, die am Berliner Lette-Verein in den 1920er Jahren zur Fotografin ausgebildet wurde, hatte sie bereits als Kind Kontakt zur Fotografie. Mit 13 Jahren hielt sie ihre erste eigene Kamera in der Hand.
Das war 1947, und die selbstverständlich zum Abitur vorbestimmte Hilla sollte schneller als gedacht in Kontakt mit der professionellen Fotografie kommen: Sie handelte sich in fortgeschrittenem pubertärem Alter wegen „aufmüpfiger Äußerungen“ einen Schulverweis ein und durfte/musste daraufhin ab 1951 im renommierten Potsdamer Fotoatelier Walter Eichgrüns (1887–1957) eine dreijährige Ausbildung zur Fotografin antreten.
Der Sohn des Hoffotografen Ernst Eichgrün hatte gerade den Auftrag erhalten, das Potsdamer Stadtbild und die historischen Schlossanlagen der Berliner Vorstadt zu dokumentieren, Azubi Hilla durfte gleich bei den Aufnahmen der Schlösser und Gärten von Sanssouci assistieren, war also bereits in ihren frühesten Arbeiten mit der fotografischen Erschließung von Architektur und Skulptur in der Landschaft beschäftigt.

von Hoger [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons
Die fotografische Sezierung industrieller Objekte
Ihr erster selbstständig ausgeführter Auftrag zeichnete auch bei ihr das spätere gemeinsame Œuvre der Bechers vor: In einem Reichsbahn-Ausbesserungswerk wurden präzise Aufnahmen mit technischen Details einzelner Dampflok-Elemente benötigt, um die Reparatur der Beschädigungen des Zweiten Weltkriegs in Angriff nehmen zu können.
Hilla Becher photographierte die größeren auf dem Betriebshof und die kleineren im Atelier, entdeckte dabei ihr Talent für die feine Wahrnehmung von Material-Eigenheiten und ihre Freude an der Entwicklung geeigneter Darstellungsweisen; Als Gesellenprüfung lieferte sie die Dokumentation eines Gaswerks ab. Das „photographische Sezieren“ von Industriedenkmälern sollte fortan ihr Leben bestimmen.
Wie Hilla und Bernd zu den Bechers wurden
Mit 20 floh Hilla Becher aus der DDR und landete in Hamburg. Von 1954 bis 1957 arbeitete sie dort als selbstständige Lichtbildnerin bei einer Firma, die Luftbilder auf Auftrag anfertigte. 1957 wechselte Hilla Becher zur Werbeagentur Troost in Düsseldorf („Persil 59 – das beste Persil, das es je gab“), wo sie ihren späteren Mann Bernd Becher und ihren späteren Professor Walter Breker kennenlernte.
Grafik- und Typografie-Professor Walter Breker arbeitete neben seiner Professur an der Kunstakademie Düsseldorf als Typograf für die Werbeagentur, sein Schüler Bernd Becher jobbte dort während des Studiums an eben dieser Akademie.
Vermittelt durch diese Bekanntschaften wagte es Hilla Becher, sich mit einer nur aus Fotografien bestehenden Bewerbungsmappe an der Kunstakademie zu bewerben (ein nie vorher geduldetes Novum). Sie wurde 1958 angenommen. Sie besuchte die Gebrauchsgrafik-Kurse bei Walter Breker, der 1954 im Alter von 50 Jahren zum Professor und Leiter der Klasse für Gebrauchsgrafik an der Kunstakademie Düsseldorf berufen wurde. Dies war der Höhepunkt seiner Karriere und sein letztes Amt, das er bis zu seiner Pensionierung 1969 ausübte.
Mit dem erfahrenen Grafiker und Typografen Breker, der neben (auch vorangegangenen) Lehrtätigkeiten immer mit einem Bein in der praktischen Ausübung verhaftet geblieben war und der sich in nationalen und internationalen Grafiker-Vereinigungen (Bund Deutscher Grafiker, Alliance Graphique Internationale) engagierte, hatte die selbstbewusste angehende Künstlerin einen Goldgriff getan: Er förderte ihre Begeisterung für die Fotografie so weit, dass Hilla Becher nicht nur die erste Fotowerkstatt in der Akademie einrichten konnte, sondern das Medium Fotografie neben Maltechnik, Druckgraphik, Holz- oder Metallbearbeitung zum allgemeinen Unterrichtsangebot für alle Studenten aufstieg.
Bernd Becher hörte ebenfalls bei Breker und war wie Hilla Becher begeistert vom spröden Charme der nutzlos gewordenen Nutzbauten der Moderne. Damit trafen sich in einem Studiengang der Gebrauchsgrafik zwei Menschen mit Leidenschaft für die (damals noch nicht existente) künstlerische Industrie-Fotografie, von denen einer gerade die Erweiterung der Ausbildung um das Medium Fotografie initiierte – eine Wahrscheinlichkeit, die etwa mit der zu vergleichen ist, dass sich zwei Entomologen mit Leidenschaft für Cryptocephalus sericeus, kleine grüne Seidige Fallkäfer, bei einem Kurs über korrekte Präparation von Insekten treffen und forthin gemeinsam die von einem der beiden beim Anbieter des Präparations-Kurses eingerichtete Aufzucht- und Forschungsstation für kleine grüne Seidige Fallkäfer betreiben …
So ähnlich sind Bernd und Hilla Becher verfahren: Sie nutzten die von Hilla eingerichtete Photowerkstatt in der Akademie für ihre fortan immer mehr gemeinsame Arbeit und haben 1961 auch geheiratet. Auch wenn es vor allem Hilla war, die neben eigenen Arbeiten mit ihrem Mann mit ihrer fundierten Fachkenntnis über Kameratechnik und -Handhabung, Einrichtung und Betrieb von Dunkelkammern verschiedensten studentischen Projekten zur Umsetzung verhalf, erhielt ihr Mann Bernd 1976 den Lehrauftrag und wurde so zum ersten offiziellen Inhaber der ersten Professur für Photographie an der Kunstakademie Düsseldorf.
Aber Hilla hatte wohl auch mit dem Mann Glück gehabt: Bernd Becher leitete zwar die Fotografie-Klasse an der Kunstakademie Düsseldorf bis 1996 offiziell alleine, konnte aber offensichtlich der Versuchung widerstehen, neben der Professur (die eigentlich Hilla gebührt hätte, Bernd Becher war bis zu seinem Lebensende im Herzen mehr Zeichner als Fotograf) auch noch sämtlichen durch die gemeinsame Kunst-Arbeit auflaufenden Ruhm auf sich zu verbuchen; Er soll die auch im Kunstbetrieb üblichen Mechanismen nicht einmal versucht haben. Das hätte auch vermutlich eher irgendwann zur Scheidung geführt als zu über vier Jahrzehnten überaus fruchtbarer Zusammenarbeit.
Die Becher-Schule
Was wiederum zunächst deshalb schade gewesen wäre, weil dann die berühmte Becher-Schule, aus der bis zum Ende der Becher’schen Lehrtätigkeit im Jahr 1996 eine lange Reihe sehr erfolgreicher Fotokünstler hervorging, nie entstanden wäre. Hilla Becher war ein zentraler und gleichberechtigter Teil dieser Schule. Auch ohne Lehrauftrag im institutionellen Sinn stand ihr Atelier den Studenten immer offen, ihr Urteil war ebenso begehrt wie das ihres Mannes.
Jede Störung der langen und fruchtbaren Zusammenarbeit des zur Dokumentation erlöschender Industrie-Ästhetik geborenen‘ Ehepaares wäre aber auch ein Verlust für die Fotokunst gewesen, denn die beiden haben uns auch höchstselbst einige Jahrhundert-Werke hinterlassen, auf die im Artikel „Bernd und Hilla Becher: Foto-Kunst und Foto-Künstler von einem Erfolgsduo“ ein näherer Blick geworfen wird.
Prägende Methodik und künstlerische Charakteristika
Prägend für ihre methodische Herangehensweise sind oft sog. „Abwicklungen“, bei denen sechs, neun, zwölf oder mehr Fotografien desselben Objekts aus definierten, unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen werden. Auf diese Weise entstanden „Typologien“ industrieller Architektur.
Die Fotografien wurden mit einem klaren, sachlichen Ansatz erstellt. Bei der Wahl ihrer Aufnahmetechnik zogen Bernd und Hilla Becher Zentralperspektiven ohne Verzerrungen vor, wählten menschenleere Szenen und setzten auf ein sanftes, wolkenverhangenes Licht. Um auch feine Details exakt darzustellen, verwendeten sie Großformatkameras im Format 13 × 18 cm.
Die Bildkomposition hebt die Oberflächenstrukturen und die Anordnung der grundsätzlich zentral positionierten Bauwerke deutlich hervor.

Bildquelle: Vidar00, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Die systematisch festgehaltenen, mittlerweile an vielen Orten beschädigten Zeugnisse der industriellen Entwicklung werden in Schwarz-Weiß-Fotografien sachlich und präzise festgehalten. In typologischen Zusammenstellungen kann der Betrachter diese Bilder simultan auf sich wirken lassen.
Zusätzlich zu der dokumentarischen und analytischen Dimension dieses Langzeitprojekts hatte die Arbeit auch einen Einfluss auf den Minimalismus und die Konzeptkunst seit den frühen 1970er Jahren. Dies ist zurückzuführen auf die gezielte Platzierung der Bauwerke vor einem neutralen grauen Himmel, ihre Abkoppelung von funktionalen Zusammenhängen sowie die monumentale Einzelstellung, ebenso wie das Raster der typologischen Darstellung.
Ihre Fotografien enthüllen eine verloren gegangene Ikonographie, die uns in eine Welt eintauchen lässt, die heute nur noch selten zu finden ist. Mit ihrem beeindruckenden Schaffen hinterließen uns Bernd und Hilla Becher eine einzigartige Sammlung von Industriegebäuden, deren Vielfalt in der modernen Architektur kaum noch überliefert ist.
Sie prägten den Begriff der „nomadischen Architektur“ für die industrielle Baukunst, der die flüchtige Natur dieser Strukturen beschreibt. Der Bau und Abriss dieser Gebäude unterliegen den imperativen Interessen der Kapitalverwertung und Gewinnmaximierung – ein Gedankenstrang, der sich in dem Zitat manifestiert:
Nomadenvölker hinterlassen keine Ruinen.“
In diesem Kontext sahen sich die Bechers als Archäologen der Industriearchitektur; ihre Tätigkeit stellte sowohl eine dokumentarische Spurensuche als auch eine kulturelle Anthropologie dar.
Einordnung des künstlerischen Erbes
Das fotografische Werk von Hilla und Bernd Becher, das seit den 1960er-Jahren in formalästhetischen Diskussionen eine zentrale Rolle einnimmt, ist unverzichtbar für die moderne Kunstgeschichte im Bereich der Fotografie. Ihr Ansatz zur Fotografie orientiert sich am Vokabular des Sichtbaren und an der industriellen Architektur.
Die Bechers haben durch eine nüchterne und sachliche Bildsprache eine neue Tradition der Dokumentarfotografie begründet, die im Gegensatz zu stark inszenierten Werken steht. In Lehrprojekten erarbeiten Schülerinnen und Schüler noch immer die grundlegenden Gestaltungsmittel der Bechers, gefolgt von praktischen Aufgaben im Stil typologischer Fotografie.

Das fotografische Werk von Bernd und Hilla Becher folgt insgesamt einem Konzept, das im Geiste der Neuen Sachlichkeit verankert ist. Aus der Perspektive der bildenden Kunst wurde es bald der Konzeptkunst zugeordnet. Ihre einzigartige Herangehensweise indes eröffnet dem Betrachter nicht nur Einblicke in die Baukunst vergangener Tage, sondern lädt auch dazu ein, über den Einfluss wirtschaftlicher Strukturen auf das architektonische Erbe nachzudenken.
Ihre Arbeiten sind somit nicht nur Dokumentationen, sondern auch bedeutende Beiträge zur Reflexion über unsere gebaute Umwelt.

Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.