Ziemlich weit oben auf der Liste der weltweit angesehensten Künstler ist ein deutscher Fotokünstler zu finden, der von sich selbst sagt, dass er in seiner Schulzeit „mit Kunst nichts am Hut hatte“.
Thomas Ruff auf einen Blick
Thomas Ruff, geboren 1958, erlangte in den späten 1980er Jahren internationale Anerkennung als herausragendes Mitglied der Düsseldorfer Schule, einer illustren Gemeinschaft junger Fotografen, die unter Anleitung von Bernd und Hilla Becher ausgebildet wurden. Diese Gruppe prägte das fotografische Medium durch ihre experimentelle Herangehensweise sowie ihre Auseinandersetzung mit den sich schnell wandelnden Technologien der Fotografie.
Ruff schuf einen markanten Bruch mit dem Stil seiner Mentoren und entwickelte eine unverwechselbare Perspektive innerhalb der konzeptuellen Fotografie. Seine Arbeiten zeichnen sich durch den gezielten Einsatz von Farben und die kreative Bearbeitung von Ausgangsaufnahmen aus – anfänglich durch manuelle Retuschetechniken und später durch innovative digitale Verfahren. Indem er den Fotodruck auf ein monumentales Niveau hebt, verschmilzt er die Grenzen zwischen Fotografie und Malerei.
In klar definierten Serien entfaltet Ruff seine Techniken zur tiefgehenden Analyse unterschiedlicher fotografischer Genres, darunter Porträt-, Akt-, Landschafts- und Architekturfotografie. Seine umfassende Auseinandersetzung mit der „Grammatik der Fotografie“ hat nicht nur einen signifikanten Einfluss auf nachfolgende Generationen von Fotografen ausgeübt, sondern erklärt auch die Vielzahl seiner Themen sowie die immense Bandbreite der technischen Mittel, die zur Entstehung seiner Werke verwendet wurden – vom Einsatz veralteter Geräte bis hin zu hochmodernen Computersimulationen und sämtlichen Zwischenstufen.
Thomas Ruffs Werk lädt dazu ein, die oft unsichtbaren Mechanismen hinter der Fotografie zu hinterfragen und entführt den Betrachter in eine faszinierende Welt der Bildproduktion, die sowohl intellektuell anregend als auch künstlerisch bereichernd ist.
Kindheit und Ruffs Weg zur Fotokunst
Thomas Ruff wurde 1958 in Zell am Harmersbach geboren, einem kleinen Städtchen am Rande des Schwarzwaldes. Als viertes von sechs Kindern genießt er eine erlebnisreiche Kindheit in der Kleinstadt, in der die Eltern den Kindern ziemlich große Freiräume ließen und sie ansonsten so gut wie möglich förderten, was bei Thomas Ruff zunächst zum Besuch des Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasiums im 1,5 Stunden Zugfahrt entfernten Hausach führt.
In seinen letzten drei Jahren auf dem Gymnasium bekam Thomas Ruff wegen Lehrermangel keinen Kunstunterricht, er interessierte sich für Astronomie und erwirbt mit 16 seinen ersten Fotoapparat, dessen Bedienung er in einem Volkshochschulkurs lernt. Die Fotografie wird sein Hobby, nach dem Abitur wollte Ruff entweder Astronomie oder Fotografie studieren.
Die Fotografie erschien ihm als die leichtere Variante, eigentlich mit der Idee, Reisefotograf zu werden, bewarb er sich direkt nach dem Abitur 1977 an der Kunstakademie Düsseldorf, damals die einzige Akademie in Deutschland, die eine Fotoklasse anbot. Zur Bewerbung schickte er seine zwanzig schönsten Kleinbilddias ein, die beurteilt wurden vom berühmten Fotografen Bernd Becher, der gerade an der Kunstakademie eine Professur für Fotografie übernommen hatte.
Bernd Becher wählte Ruff aus, er absolvierte bis 1985 sein Fotografiestudium unter ihm und seiner Frau Hilla Becher, einer ebenso anerkannten Fotografin, die mit ihrem Mann bei der Ausbildung der Studenten eng zusammenarbeitete. Beide führten eine fast legendäre Künstlerklasse der Fotografie, die später auch häufig als „Becher-Schule“ bezeichnet wurde und aus der neben Ruff auch weitere international herausragende Vertreter der deutschen Fotografie wie Andreas Gursky, Thomas Struth, Jörg Sasse und Axel Hütte hervorgingen.
Thomas Ruff kam im Studium zum ersten Mal mit Kunst und Künstlern in nähere Berührung, er musste gänzlich neu sehen lernen und erkennen, dass seine bisher geschaffenen schönen Landschaftsbilder nicht anderes waren als angenehm zu betrachtende Klischees. Das führte ihn zunächst (“natürlich”, wie er später sagte) in eine gewaltige Krise, er konnte ein Jahr lang nichts erschaffen, genau in dieser Krise fand er jedoch vom reinen Interesse am Foto zur künstlerischen Betrachtung der Fotografie.
Nun begann er, selbst Kunst zu machen, Fotografien, die aus einer intelligenten Auseinandersetzung mit seiner Umgebung entstanden. Großen Wert legt Ruff bei seiner Arbeit auf Authentizität, die die Fähigkeit nährt, die Dinge unabhängig von vorgegebenen Meinungen zu sehen und zu fotografieren.
Er hat sich die Zeit genommen, im Studium und auch danach seinen eigenen Weg zu finden, dass dieser gut war, zeigt sich bald, indem er relativ früh erst von einer und dann von weiteren Galerien angesprochen wird, die mit Ruff Ausstellungen machen wollen. So ging es dann weiter, Ruff hat sich nie näher mit der Marketingseite der Kunst beschäftigen oder anfreunden müssen, er hat erfolgreich auf den (von ihm selbst als naiv bezeichneten) Glauben seiner Anfangszeit vertraut, dass sich gute Arbeit automatisch durchsetzen werde.
Erste Arbeiten und internationaler Durchbruch
Die ersten Arbeiten, die die Aufmerksamkeit der Galeristen erregt, gehören kleinformatige Porträts mit weißem Hintergrund, Ruff stellt sie 1986 im französischen Villeurbanne aus und erhält dort die Mittel, um erste Porträts im großen Format anfertigen zu lassen. Diese werden 1987 in der Kölner Galerie Johnen & Schöttle gezeigt, eines wird für das 1991 eröffnende Museum für Moderne Kunst in Frankfurt gekauft.
So verhelfen diese Porträts Ruff zum internationalen Durchbruch, sie und seine neue Serie Häuser werden Ende der 1980er Jahre auf wichtigen internationalen Ausstellungen (“Aperto” in Venedig, “BiNationale” in Düsseldorf und Boston) gezeigt. Öffentliche und private Sammler zeigen nun so viel Interesse an seinen Werken, dass er Ruff kostenintensivere Projekte beginnen kann, 1989 startet er seine Serie Sterne, für die er über 1.000 Negative wissenschaftlicher Sternaufnahmen einkauft.
Viele Zeitgeschehnisse finden ihren Ausdruck in seinem Werk: 1991 antwortet er mit den “Blauen Augen” dem französischen Kunstkritiker, der seine Porträtserie mit der Kunst des Sozialistischen Realismus und des Faschismus verglichen hatte. 1992 regen die TV-Bilder aus dem Golfkrieg Thomas Ruff zur Serie Nächte an, ein Teil dieser Aufnahmen wird auf der documeta IX ausgestellt.
Es folgt 1993 ein Stipendium in Rom, 1994 entstehen zwei Serien, die unterschiedlichste Techniken der Fotografietechniken verarbeiten, 1999 wird Ruff vom Architektenpaar Herzog & de Meuron mit der Fassadengestaltung ihres Entwurfs der Bibliothek der Fachhochschule Eberswalde beauftragt.
1995 ist Thomas Ruff im Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig zu sehen, 1996 beschäftigt er sich in der Serie Plakate mit verschieden politischen Ereignissen.
Am Ende der 1990er Jahre begann Thomas Ruff eine weitere künstlerische Reise im Bereich der Fotografie. Im Gegensatz zu vielen Fotografen schöpfte er seine Bildinspiration nicht aus eigenen Aufnahmen, sondern entdeckte sie im Internet, wo er wegen seiner Schüchternheit zögerte, direkt mit Menschen in Kontakt zu treten.
Ende der 90er Jahre war das Internet bereits etabliert. Ich gab Begriffe wie ‚Aktfotografie‘ und ‚Porno‘ ein, und sofort tauchten diese Seiten auf. Es scheint, als hätte das älteste Gewerbe der Welt den Vorteil des Internets früh erkannt“,
erinnert sich Ruff in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur*.
Ruff transformierte die gefundenen Bilder zu verpixelten Kunstwerken, die eine ganz eigene Ästhetik entwickelten. Dabei ging es ihm nicht nur darum, seinen „heterosexuellen und männlichen Blick auf den weiblichen Körper“ zu präsentieren. Vielmehr verfolgte er einen demokratischen Ansatz, indem er alle sexuellen Vorlieben und Praktiken einschließlich ihrer Vielfalt abbildete.
Durch seine Arbeiten regt er dazu an, sich intensiver mit den verschiedenen Facetten der menschlichen Sexualität auseinanderzusetzen und die Grenzen zwischen Kunst und Alltagswahrnehmung neu zu definieren.
1999 beginnt er mit seiner berühmten Serie “nudes”, zu der er Pornographieseiten aus dem Internet als Ausgangsmaterial verwertet. Verschiedene Gebäudeaufnahmen (Mies van der Rohe und weitere) werden zur Serie “l.m.v.d.r”, wieder für Herzog & de Meuron stattet er den Boden der “Fünf Höfe” in München mit Bildern aus.
1999 erhält Thomas Ruff dann eine Professur an der Staatlichen Akademie Düsseldorf, an der er (nach kurzem Zwischenspiel von Jeff Wall) von 2000 bis 2006 die “Becher-Klasse” leitet, während dieser Zeit Nachfolger erwirbt er auch gemeinsam mit Andreas Gursky, Axel Hütte und Laurenz Berges ein Fabrikgelände in Düsseldorf, indem er ein großes Atelier bezieht.
Das Internet bleibt Thema, auch in den seit 2000 entstandenen Serien “Substrat” und “Jpegs”, der Foto-Band „Nudes“ erscheint 2003 mit einem Text von Michel Houellebecq. Aber nicht nur, zwischendurch entsteht “Das Sprengobjekt”, 2011 werden in Münster die „Stellar Landscapes“ gezeigt, in denen 60 Bilder des Mars (von der NASA) so bearbeitet wurden, dass man das Gefühl hat, den Mars aus einem Flugzeug zu betrachten.
Wie m.a.r.s. zeigt auch die Serie „Cassini“ Bezüge zu seiner Jugendliebe Astronomie, hier werden außergewöhnliche und auch wirklich außerirdische Aufnahmen vom Saturn und seinen Monden verarbeitet, die von der Raumsonde dieses Namens gemacht wurden.
Eine Übersicht der beeindruckenden Werke Thomas Ruffs war im Frühjahr 2012 im Haus der Kunst in München zu sehen.
Das folgende Video zeigt ein 30-minütiges Interview mit dem Künstler, durchgeführt von Thomas Weski im Münchner Haus der Kunst:
Ausstellungen rund um den Globus
Die Werke von Ruff wurden in zahlreichen Einzelausstellungen in renommierten Institutionen rund um den Globus präsentiert, darunter
- die Whitechapel Gallery in London (2017);
- das Nationalmuseum für moderne Kunst in Tokio (2016; reiste zum 21st Century Museum of Contemporary Art in Kanazawa, Japan);
- die Art Gallery of Ontario in Toronto (2016);
- das Stedelijk Museum voor Actuele Kunst (S.M.A.K.) in Gent (2014);
- das Museum of Modern Art in New York (2014);
- das Haus der Kunst in München (2012);
- das LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster (2011);
- das Centro de Arte Contemporáneo de Málaga in Spanien (2011);
- das Castello di Rivoli in Turin (2009);
- das Museum für Neue Kunst in Freiburg, Deutschland (2009);
- die Kunsthalle Wien in Wien (2009);
- die Műcsarnok Kunsthalle in Budapest (2008);
- das Moderna Museet in Stockholm (2007);
- das Sprengel Museum Hannover in Deutschland (2007);
- das Musée d’art moderne et contemporain in Genf (2004);
- sowie das Museo Tamayo in Mexiko-Stadt (2002).
Im Jahr 2018 wurde Thomas Ruff in der Ausstellung „Photography Spotlight“ im Victoria and Albert Museum in London vorgestellt, die die Eröffnung des neuen Photography Centre des Museums feierte. Anlässlich dieser besonderen Einweihung schuf der Künstler ein neuartiges Werk mit dem Titel „Tripe“, das seine meisterhafte Fähigkeit zur Innovation eindrucksvoll unter Beweis stellte.
Eine umfassende Retrospektive seines Schaffens fand von 2020 bis 2021 im K20 – Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf statt. Die große Einzelausstellung „Thomas Ruff: after.images – Werke 1989–2020“, kuratiert von Martin Germann, bot den Besuchern einen faszinierenden Einblick in Ruffs Oeuvre und vereinte nicht nur die eindrucksvollen Arbeiten aus der Serie „Tableaux Chinois“, sondern auch fünfzehn weitere Serien, die bereits im Jahr 1989 entstanden sind, und die im National Taiwan Museum of Fine Arts in Taichung präsentiert wurden.
Im Jahr 2022 wurde zudem die Ausstellung „Thomas Ruff: Méta-Photographie“ im Musée d’art moderne et contemporain de Saint-Étienne Métropole (MAMC) in Frankreich gezeigt. Später, im selben Jahr, stand die Kunsthalle Bielefeld in Deutschland im Zeichen einer Duo-Ausstellung, die sowohl Werke von Thomas Ruff als auch von James Welling präsentierte. Hierdurch erhalten kunstinteressierte Besucher die Möglichkeit, zwei unterschiedliche künstlerische Sichtweisen auf das Medium Fotografie zu erleben und deren Entwicklung nachzuvollziehen.
Thomas Ruff in der Galerie von David Zwirner
Ruffs außergewöhnliche Werke werden seit dem Jahr 2000 von der renommierten Galerie David Zwirner präsentiert. In diesem Zeitraum durfte der Künstler insgesamt zwölf Soloausstellungen in den verschiedenen Räumlichkeiten der Galerie feiern. Dazu zählen mehrere eindrucksvolle Präsentationen in New York (in den Jahren 2000, 2001, 2003, 2005, 2007, 2010, 2013, 2016 und 2022), sowie herausragende Ausstellungen in London (2016), Hongkong (2019) und Paris (2021). Jedes dieser Events bot nicht nur einen tiefen Einblick in Ruffs künstlerisches Schaffen, sondern trug auch zur verstärkten Wertschätzung seiner Kunst auf internationaler Ebene bei.
Für den Januar 2025 wurde die Ausstellung „Thomas Ruff: expériences lumineuses“ in London angekündigt.
Weitere Informationen sowie eine weitere große Auswahl an seinen Werken finden Sie auf artnet – Thomas Ruff. Auch in unserer Online Galerie finden Sie eine kleine Auswahl an Farblithografien und Giclée-Drucken des großen deutschen Fotografen.
Die Werke von Thomas Ruff erzielen regelmäßig Rekordpreise auf Auktionen; sein teuerstes Bild aus der Serie „Sterne“ wurde für beeindruckende 180.000 Euro versteigert.
Quellen, fachliche Unterstützung und weiterführende Informationen:
- David Zwirner: Thomas Ruff, https://www.davidzwirner.com/artists/thomas-ruff
- Deutschlandfunk Kultur: Fotokünstler Thomas Ruff Die Lügen der Bilder zeigen, https://www.deutschlandfunkkultur.de/thomas-ruff-fotografie-propaganda-china-sowjetunion-100.html
- Simon Broll in SPIEGEL Kultur: Fotokatalog „Thomas Ruff“ Alles wird wie neu sein, https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/ein-sammelband-von-thomas-ruff-vereint-17-serien-des-fotokuenstlers-a-824858.html
- artnet: Thomas Ruff, https://www.artnet.de/k%C3%BCnstler/thomas-ruff/
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.