Wenn wir an ein Gemälde oder Bild denken, dann haben wir automatisch ein rechteckiges Format vor Augen, wie bei einem Fenster.
Eine der ersten Überlegungen eines Malers oder einer Malerin wird sein, welches Format das neue Bild haben soll. Die Überlegungen beziehen sich einerseits auf die Größe des Bildes und andererseits auf das Seitenverhältnis, also darauf, ob es sich um ein Quadrat, Hoch- oder Querformat handelt.
Es kann bisweilen auch umgekehrt sein, dass man sich überlegt, was man am besten auf das Format malt, das da gerade im Atelier herumsteht. Auf jeden Fall hat das Format erheblichen Einfluss auf die Bildwirkung. Meine nachfolgenden Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf das Kantenverhältnis, wenn ich vom Format spreche.

Es leuchtet ein, dass weiträumige Landschaften auf einem Querformat sinnvoll sind, man für die Darstellung einer Häuserschlucht oder eines Bergausschnittes aber ein Hochformat wählt. Auch in der Porträtmalerei wird fast immer ein Hochformat genommen. In verschiedenen europäischen Ländern entwickelten sich aufgrund der unterschiedlichen ökonomischen und sozialen Verhältnisse eigene rechteckige Formate mit charakteristischen Seitenverhältnissen. Über deren Varianten, Größen, Entstehung und Wirkung auf die Betrachtenden könnte problemlos ein Buch gefüllt werden.
Erstaunlicherweise wurde aber, so immens die künstlerischen Revolutionen und Umbrüche im Laufe der Zeit in der Darstellung auch waren, das rechteckige Format an und für sich in der Malerei kaum in Frage gestellt. Wenn wir mal vom Sonderfall der runden Formate absehen, die schon seit Jahrhunderten benutzt werden.
Ein Bild löst bei den Betrachtenden sowohl bewusste als auch unbewusste Emotionen aus. Vor allem im Unbewussten ist das Format wirksam. Wer sich mit Kunst beschäftigt, sollte sich einmal in Ruhe verschiedene geometrische und freie Formen ansehen und darauf achten, welche Gefühle jeweils ausgelöst werden.
Sowohl Form, als auch Name des Ovals leiten sich vom Ei ab, das für uns den Inbegriff der Geborgenheit darstellt. Die Kreisform erzeugt Gefühle der Vollkommenheit, des Einsseins mit dem Leben, dem Universum oder Gott.
Das rechteckige Format gibt uns zwar einerseits Halt und Sicherheit und erlaubt es, uns zu positionieren. Doch auf der anderen Seite beschränkt es uns auch im Denken und in unseren Emotionen und sollte daher in der Kunst in Frage gestellt werden.
Das rechteckige Format scheint ein Dogma in der Malerei zu sein.
Wir finden fast ausschließlich Bilder, deren Seiten im exakten 90-Grad-Winkel zueinander stehen. Ich denke, Bilder, deren Winkel davon abweichen, würden die Schauenden zunächst verstören. Vor allem, wenn die Abweichungen vom 90-Grad-Winkel nur gering wären, würde das ein unbestimmtes Unwohlsein auslösen.
Aber sollte Kunst nicht auch verstören, uns herausschubsen, -drängen, -ziehen, aus unserem rechteckig geprägten Denken, hin zu einem nicht vorgeprägten Fühlen?
Doch nur wenige Malerinnen und Maler wichen vom rechteckigen Format ab.
Zu nennen wäre hier an prominenter Stelle der US-amerikanische abstrakte Maler Frank Stella (1936-2024) mit seinen Shaped Canvases, der seinen Bildern die verschiedensten geometrischen Formen gab und auch die Wandfläche verließ und diese in den Raum hineinragen ließ und so die Grenze zwischen Malerei und Plastik verschwimmen ließ.
Auch der deutsche Maler Gerhard Hoehme (1920 bis 1989) löste sich mit seinen Werken teilweise vom rechteckigen Bildformat und der Fläche.
Der deutsche Maler Imi Knoebl (geb. 1940) entgrenzt die Malerei sowohl in den Raum hinein, als auch vom rechteckigen Format, indem er verschiedene monochrome Objekte und Formate aufeinanderschichtet, doch würde ich viele seiner Objekte eher der Plastik, als der Malerei zuordnen.
Das Werk der spanischen Malerin Angela de la Cruz (geb. 1965) besteht zu großen Teilen aus Arbeiten, in denen sie im wahrsten Sinne des Wortes mit der Tradition des Formates bricht, indem sie die Rahmen zerbricht und die Leinwand löst und beides teils neu arrangiert und so in meist dreidimensionale Objekte verwandelt.
Doch das war es dann auch schon mit dem Rütteln am Dogma des rechtwinkligen Formates und der flächigen Darstellung in der Malerei.
Mag es in früherer Zeit noch ein Argument gewesen sein, dass eben ein rechteckiger Rahmen die stabilste Form darstellt und am einfachsten herzustellen und zu bespannen ist, so kann man dieses Argument heute nicht mehr gelten lassen. Beim Stand der Technik wäre es problemlos möglich, Rahmen in allen erdenklichen Formen zu fertigen und zu bespannen. Auch können aus Holz- oder Kunststoffplatten alle erdenklichen Formen gefräst werden.
Argumentiert wird auch gerne mit unseren Sehgewohnheiten. Das Bild sei immer schon wie ein Fenster gewesen und ein solches sei eben rechteckig. Daher bleibe man auch beim rechteckigen Format des Bildes, denn der Kunde erwarte nun einmal, dass ein Bild rechteckig ist, alles andere würde ihn verstören. Zudem sei nun mal die gesamte Kunst-Logistik auf rechteckige Bilder eingestellt. Diese ließen sich einfach herstellen, transportieren, lagern und hängen und ihre Fläche berechnen.
Ich denke, das sind die gleichen Argumente, wie sie zu allen Zeiten angeführt wurden, um beim für alle Beteiligten bequemen Status quo zu bleiben und Neues und Entwicklung zu verhindern.
Mit unseren Sehgewohnheiten zu argumentieren, halte ich für besonders bedenklich, denn wie so viele Gewohnheiten, die sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte herausbildeten und irgendwann als schädlich herausstellten, ist es vielleicht auch bei dieser „rechteckigen“ Sehgewohnheit im weitesten Sinne für uns nicht gesund und sinnvoll, dass wir von dieser nicht abweichen. Aber das hieße eben, an einem Dogma zu rütteln.
Der rechte Winkel ist unorganisch und nicht dem Menschen entsprechend. Er kommt in der sichtbaren Natur so gut wie gar nicht vor. Aber er liefert im Technischen die stabilste Verbindung. Und so bediente man sich bei technischen Werken, wo immer es ging, des rechten Winkels. Auch die Erdanziehungskraft bedingte den rechten Winkel als die optimale Funktion der Statik.
Alle technischen Argumente, die für das rechtwinklige Bildformat gelten, kann man also erst recht und in viel stärkerem Maße in der Architektur anführen. Denn da geht es um Stabilität von Bauten und die Gefährdung von Menschenleben.
Doch gerade die Architektur hat schon vor hundert Jahren nicht nur versucht, sondern begonnen, sich vom rechten Winkel zu lösen. Rudolf Steiner erkannte, dass sich der Mensch mit dem rechten Winkel nicht wirklich wohlfühlt und unter dessen Herrschaft nicht frei entwickeln kann. Bei genialen Architektinnen wie Zaha Hadid findet man nur noch runde Formen und gar keine Winkel mehr. Heute sehen wir Bauwerke, bei denen wir spontan denken: „Wie kann das stabil sein?“ Die technischen Herausforderungen, vom rechten Winkel abzuweichen, waren in der Architektur tausendmal erheblicher, als dies beim Verlassen des rechtwinkligen Formates in der Malerei der Fall ist.
Und doch hat die Malerei bis heute den Schritt nicht vollzogen, sich vom rechten Winkel zu lösen. Neben vielen anderen ist auch dies eines der Phänomene, die mich veranlassen, von der archaischen Form des Kunstmarktes zu sprechen.

Otto Frühwach wurde 1960 in München geboren. Zu Jugendzeiten künstlerisch aktiv, war er bis zu seinem sechzigsten Lebensjahr in verschiedenen kulturellen und wirtschaftlichen Bereichen, immer selbständig und als Unternehmer tätig, in der Seele immer der Kunst verhaftet. Seit seinem sechzigsten Lebensjahr hat er das aktive Kunstschaffen im Zentrum seines Lebens positioniert und arbeitet seitdem mit den verschiedensten Techniken und Materialien, um seine Bilder zu schaffen. Sein Werk ist vielseitig, genre- und stilübergreifend.
“Die Kunst betrachte ich zunächst wie eine Weltreise, auf die ich mich mit den verschiedensten Fortbewegungsmitteln begeben habe. Ich bin für alles offen. Danach werde ich entscheiden, wo ich mich niederlassen werde.“