Inspirationen für Kunst gibt es viele. Schönheit, Wut, Trauer und Religion sind verantwortlich für eine unendliche Fülle von Werken der Kulturgeschichte.
Etwas nüchterner dagegen wirkt geometrische Kunst, die sich – wie es die Gruppe Art concret formulierte – nicht der Abbildung von etwas Realem oder Erlebbarem widmet, sondern ihre ganze Quelle in Mathematik und wissenschaftlichem Denken verortet. Jedoch schafft dieser Ansatz nicht nur ganz eigene aufregende und leicht zugängliche Werke, er ist auch in der Kunstgeschichte überraschend weit verbreitet.
Konkrete Kunst – Grundideen, wichtige Künstler und Geschichte
Der Anspruch Konkreter Kunst ist deutlich weniger komplex, als viele annehmen. Sie ist keine konstruktivistische Kunst und auch keine abstrakte. Denn während letztere realweltliche Phänomene abstrahiert, schafft Konkrete Kunst erst etwas Gegenständliches aus etwas Geistigem.
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Sie ist eine geometrische Kunst stellt das Publikum nicht vor das Rätsel irgendeiner Symbolik, sondern leitet sich aus etwas Nachvollziehbarem, Beweisbarem ab.
Gerade, weil sie keine Gefühle nachempfindet, ist sie eine sinnlich erlebbare Kunst. Der Beobachter kann sich voll auf das Zusammenspiel der Formen und Farben konzentrieren. Statt der Übersetzung von etwas Erlebtem auf ein Material kann er sich mit dem Material selbst auseinandersetzen. Diese Kunst produziert unmittelbar ästhetische Vorschläge und ihre Ordnungssysteme gleich mit dazu.
Die Konkrete Kunst hat zahlreiche Paten und Vorläufer, nicht nur in der Kunst selbst, sondern auch in der Mathematik und den Naturwissenschaften. Nahe Verwandtschaft besteht zum Beispiel zum Bauhaus oder dem Kubismus. Schon seit der Jahrhundertwende distanzierten sich Künstler zusehends von der Abbildung des Sichtbaren.
Der formelle Startpunkt der Bewegung wird jedoch häufig erst bei Kasimir Malewitschs Gemälde „Schwarzes Quadrat“ von 1915 verortet. Dieses brach konsequent mit der bis dahin vorherrschenden Kunsttradition.
Etwa zeitgleich beschäftigte sich in den Niederlanden die De Stijl-Bewegung mit ähnlichen ästhetischen Konzepten. Diese Gruppe von Malern, Architekten, Designern und Herausgebern um Künstler wie Theo van Doesburg, Georges Vantongerloo und Piet Mondrian bekannte sich zu asketischem Stil und Funktionalität.
So war es dann auch Theo van Doesburg, welcher der Konkreten Kunst 1924 ihren Namen gab. Formalisiert wurden die Leitlinien der neuen Bewegung dann durch die Gründung der Gruppe Art concret, die 1930 eine breite Stilrichtung der ungegenständlichen, geometrischen Kunst zusammenfasste.
Dezidiert positionierte sich die Gruppe gegen die realistischen Darstellungsweisen und die Faszination mit dem Unerklärlichen des Dadaismus. Aber auch der antirationalen Position des Surrealismus wollte die Gruppe etwas entgegensetzen. Obwohl sich die Art concret bald auflöste, haben ihre Positionen bis heute nicht nur in der Kunst Bestand, sondern auch in angrenzenden Fächern wie Architektur oder Design.
Können Büros und Verkehrsschilder Konkrete Kunst sein?
Dr. Simone Schimpf ist Direktorin des Museums für Konkrete Kunst in Ingolstadt und Vorsitzende der Stiftung für Konkrete Kunst und Design.
Pythagoras und sein Einfluss auf Ästhetik und Kunst
Pythagoras von Samos ist der Forschung trotz seiner Prominenz noch immer eine rätselhafte Person. Von den einen als Vorreiter griechischer Naturwissenschaft, Mathematik und Philosophie gepriesen, ist er für andere hauptsächlich Aktivist im Namen der Religion gewesen. Weitgehend unbestritten ist jedoch sein Einfluss auf künstlerische Ästhetik.
Auch hier wird aber die geschichtliche Doppelfunktion von Pythagoras von Samos deutlich. Vorstellungen von ganzheitlichem Harmonieempfinden und Seelenlehre mischen sich mit mathematischen Herleitungen.
In Spätantike und Mittelalter war die Ansicht verbreitet, Pythagoras sei der Begründer der Mathematik gewesen. Vor allem galt er als Entdecker des Satz des Pythagoras. Dieser besagt, dass in einem rechtwinkligen Dreieck die zweite Potenz der längsten Seite gleich der Summe der zweiten Potenzen der kürzeren Seite ist.
Wie Leonardo da Vinci den Satz des Pythagoras bewies
Das Besondere am Beweis des Satz des Pythagoras von Leonardo da Vinci ist, dass er ihn optisch-logisch anführt. Er funktioniert folgendermaßen:
Wenn man sich ein rechtwinkliges Dreieck mit den Ecken A, B und C vorstellt und bei C den rechten Winkel annimmt, dann kann man visuell die beiden Kathetenquadrate (also die, der kürzeren Seiten) imaginieren, deren Diagonalen eine Gerade g durch den Punkt C bilden. Das ursprüngliche Dreieck wird nun an der Geraden g gespiegelt. Beide Dreiecke zusammen mit den Quadraten bilden nun ein Sechseck.
Nun wird das ursprüngliche Dreieck erneut gedoppelt und an die gegenüberliegende Seite des fiktiven Hypotenusenquadrats angefügt. Auch hier bildet nun das Hypotenusenquadrat mit den beiden Dreiecken ein Sechseck. Dreht man nun dieses Sechseck um die Ecken A oder B des Ursprungsdreiecks, stellt man fest das beide Sechsecke Deckungsgleich sind.
Da nun ein Sechseck aus dem Hypotenusenquadrat und zwei Ursprungsdreiecken besteht und das andere aus letzteren sowie zwei Kathetenquadraten, kann man sich die vier Dreiecke (unter Aufrechterhaltung des Flächenverhältnisses der Sechsecke) einfach wegdenken. So kommt man zu dem Schluss, dass die beiden Kathetenquadrate ebenso groß sein müssen wie das Hypotenusenquadrat.
Fibonacci, der Goldene Schnitt und weitere geometrische Konzepte in Kunst, Fotografie und Architektur
Die Konkrete Kunst trat an, um auf wissenschaftlichen Grundlagen einen „reinen Ausdruck von harmonischem Maß und Gesetz“ zu finden, wie es Max Bill formulierte. Da verwundert es nicht, dass das mathematische Prinzip des Goldenen Schnittes eine prominente Rolle in dieser Kunstform spielt. Geradezu identitätsstiftend findet die Auseinandersetzung mit diesem bei Künstlern wie Jo Niemeyer statt.
Einfach formuliert meint der Goldene Schnitt ein Teilungsverhältnis, bei dem ein Ganzes in zwei unterschiedlich große Teile geteilt wird, so dass das größere zum kleineren im gleichen Verhältnis steht wie das Ganze zum größeren Teil.
Immer wieder begriffen einzelne Künstler und ganze Kunstströmungen im Laufe der Geschichte dieses Verhältnis als besonders ansprechend, harmonisch oder anderweitig interessant. Objektive Belege dafür gibt es nicht. Jedoch finden sich auch in der Natur zahlreiche Beispiele dieser Proportion, zum Beispiel bei der Anordnung von Blättern und Blüten oder Kristallformen.
Die Herkunft dieses Prinzips ist nicht geklärt. Erwähnungen finden sich aber beispielsweise in Griechenland spätestens seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. In Europa wird der Goldene Schnitt häufig mit der sogenannten Fibonacci-Folge in Verbindung gebracht. Der italienische Mathematiker versuchte damit das Anwachsen einer Kaninchenpopulation zu beschreiben. Die Regel dieser Folge natürlicher Zahlen ist, dass jeweils die letzten beiden Zahlen der Reihe addiert werden und die nächste ergeben (1, 1, 2, 3, 5, 8…).
Der Physiker Johannes Keppler machte später darauf aufmerksam, dass sich die Quotienten aufeinander folgender Fibonacci-Zahlen dem Goldenen Schnitt beliebig annähern. Die allgemeine Verbindung Fibonaccis zum Goldenen Schnitt ist bemerkenswert. Wie auch das Prinzip des Goldenen Schnitts war auch die Zahlenreihe lange vor seiner Zeit bekannt – sowohl im Alten Griechenland als auch in Indien. Als weitgereister Wissenschaftler dürfte er dies gewusst haben und beschäftigte sich selbst auch nicht weiter mit dem Zusammenhang.
Es ist anzunehmen, dass der Goldene Schnitt seit mindestens 4000 Jahren in Kunst und Architektur Verwendung findet. Im Alten Griechenland hat man das Verhältnis von Höhe und Breite ebenso an diesem Prinzip ausgerichtet wie die Positionierung von Säulen. Auch kanonische Werke der Renaissance wie Michelangelos „Die Erschaffung Adams“ illustrieren dieses mathematische Verhältnis.
Mathematik und Wissenschaft in der Kunst
Dies ist nur eine kleine Übersicht über den Einfluss mathematischer und wissenschaftlicher Einflüsse auf die Kunst und unser Ästhetikempfinden im Allgemeinen. Formen, die Zusammenstellung von Farben, Materialkombinationen – sie alle können auf wissenschaftliche Prinzipien zurückgeführt werden.
Es liegt im Interesse der Betrachter diese Bezüge immer wieder aufs Neue herzustellen.
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.