Street Art hat eine steile Karriere hingelegt. Lange Zeit wurde sie nicht nur von der Öffentlichkeit als Vandalismus geschmäht, sondern auch von ihren Protagonisten dezidiert als Ausdrucksform gegen das Establishment wahrgenommen.
Mittlerweile hat sich die auch als „Urban Art“ vermarktete Szene nicht nur stilistisch stark ausdifferenziert, sondern auch als renommierte Kunstform etabliert. Überall auf der Welt findet man nun eigene Museen und Stadtführungen, die sich auf Street Art im Allgemeinen und Unterformen wie Mural Art im Besonderen spezialisieren.
Städte werben touristisch mit den bekanntesten Werken und längst produziert die Community eigene globale Superstars.
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Berlin bildet dabei keine Ausnahme. Wie vieles andere ist auch die Geschichte der Urban Art in dieser Stadt geprägt von Kaltem Krieg, Teilung und Wiedervereinigung. Aber auch Zuwanderung hat deutlich sichtbare Spuren hinterlassen. Mittlerweile gilt Berlin auch innerhalb der Szene als Metropole und hat seit 2017 sogar ein eigenes Museum für zeitgenössische Urban Art.
Der globale Siegeszug der Street Art
Die Geschichte öffentlicher Wandmalereien reicht mindestens bis in das Alte Ägypten zurück. Schon für das 3. Jahrtausend v. Chr. lassen sich Inschriften auf Felsen, Gräbern, Statuen oder Tempeln nachweisen. Diese Art der Kommunikation hatte vermutlich immer schon eine Art politische Funktion und zieht sich durch zahlreiche Kulturen.
Neben dem Senden politischer Botschaften erfüllte diese explizit öffentliche Kunstform aber noch eine andere Funktion, nämlich die der eigenen Positionierung im öffentlichen Raum. So hinterließen beispielsweise amerikanische Wanderarbeiter seit dem späten 19. Jahrhundert sogenannte „Monikers“ auf Eisenbahnwagons. Seit den 1930er Jahren lassen sich in den Vereinigten Staaten Schriftzüge im öffentlichen Raum auch rivalisierenden organisierten Gangs zuordnen, die damit ihr Territorium markierten.
Die meisten Menschen werden Street Art jedoch mit dem „Graffiti Boom“ in New York seit den späten 60er Jahren in Verbindung bringen. Dabei verschmolz sie weitgehend mit der etwa zeitgleich aufkommenden Hip Hop Kultur und trat gemeinsam mit ihr spätestens seit den 1980er Jahren ihren Siegeszug um die Welt an. Heutzutage ist sie aus Kunst, Mode, Werbung und vielen anderen Bereichen nicht mehr wegzudenken.
Die Geschichte der Street Art in Berlin
In Deutschland sind politische Wandmalereien unter anderem durch die Arbeit der Weißen Rose bekannt geworden. Diese drückte ihren Widerstand auch durch Schablonengraffiti und Schriftzüge in Ölfarbe an Münchener Wänden aus. Auch US-amerikanische Soldaten hinterließen schon früh die ersten Schriftzüge und Bildchen in Deutschland.
Richtig Fuß fassen konnte die Urban Art aber erst, als die Hip Hop Kultur aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland herüberschwappte. Besonders aktiv war dabei in West-Berlin zunächst die Punkszene. Aber auch türkische Migranten nutzten diese Ausdrucksform, um sich im öffentlichen Raum eine Stimme zu verschaffen.
Einschlägige Filme wie „Wild Style!“ befeuerten diese Entwicklung. Eine ikonische Projektionsfläche für künstlerische und politische Ambitionen war nicht zuletzt die Westseite der Berliner Mauer.
Auch im Ostteil der Stadt wurde der öffentliche Raum bemalt. Die inhaltliche und gestalterische Freiheit war dabei natürlich erheblich eingeschränkt, wenn die Werke nicht umgehend entfernt werden sollten. Inspiration lieferte hier vor allem der von dem beim DDR-Regime respektierten Harry Belafonte produzierte – und somit geduldetete – Film „Beat Street“. So fanden sich beispielsweise auch an den Plattenbauten Marzahns sehenswerte Kunstwerke.
Nach der Wiedervereinigung entwickelte sich Berlin dann schnell zu einem Paradies für Urban Art. Neu erschlossene Flächen, Leerstand und Hausbesetzungen schufen hier Möglichkeiten, von denen andere Städte nur träumen konnten. Westberliner Künstler kooperierten in gemeinsamen Projekten mit Vertretern aus Ostberlin und zahlreiche internationale Künstler bereicherten die Szene.
Eine tolle Übersicht über die wichtigsten Spots kann zum Beispiel die Street Art Map von Defshop bieten.
Street Art Highlights in Berlin
Sich auf der Urban Art-Landkarte zurechtzufinden, ist nicht immer einfach. Sie ist in den seltensten Fällen permanente Kunst. Häuser werden abgerissen, Werke übermalt oder abgebaut und die Szene verändert sich. Künstler ziehen weiter oder sind gar nicht erst bekannt, zumal sich große Teile der Kunst noch immer im Graubereich der Legalität bewegen. Dennoch lassen sich einige ikonische Werke zuordnen.
East Side Gallery
Einen der bekanntesten Orte, um Street Art zu bestaunen, finden Sie in der East Side Gallery. Dieser erhaltene Teil der Berliner Mauer ist mittlerweile eine Open-Air-Galerie. Das Teilstück wurde 1990 auf über 1300 Metern Länge von 118 Künstlern aus 21 Ländern bemalt und ist heute fester Anlaufpunkt für viele Berlin-Besucher.
Urban Nation Museum und Bülowstraße
Seit 2017 gibt es in der Schöneberger Bülowstraße das von der Kuratorin und Galeristin Yasha Young entwickelte Urban Nation Museum für Contemporary Urban Art. Nicht nur können Besucher hier den ersten Versuch bestaunen, den Spirit der Street Art in die Räumlichkeiten eines Museums zu übersetzen.
Auch die Gestaltung der Fassade des Hauses wird regelmäßig an einige der bekanntesten Namen der Szene delegiert. In der Umgebung der Bülowstraße finden Sie zudem eine Ansammlung imposanter Mural Art wie beispielsweise „No Future“ von Shepard Fairey oder „Created“ von Phlegm.
Oranienstraße und Wiener Straße
Die Mural Art Tradition des alten Kreuzberg lässt sich besonders gut um die Oranienstraße begutachten. Diese Mural Art Meile zieht sich vom Moritzplatz, in dessen Nähe unter anderem „No Comment“ von Jadore Tong prangt, bis zum Görlitzer Bahnhof mit „Nature Morte“ von ROA.
Hinter dem Bahnhof geht es in der Wiener Straße mit kunstvoller Wandmalerei weiter, wo Sie ein collagenartig anmutendes Mural von Elle mit einer Erweiterung von 1UP finden.
Wedding
Lange als Geheimtipp gehandelt, hat sich auch der Wedding zum Anlaufpunkt für Künstler und Kunstbegeisterte entwickelt.
In der Adolfstraße im Leopoldkiez ist beispielsweise „Murals for the Kidz in the Hood“ von Lake Oner zu sehen.
Marzahn-Hellersdorf
Relativ neu auf der Urban Art Landkarte ist Marzahn-Hellersdorf. Im Rahmen des Mural Fests 2019 bearbeiteten hier Künstler von Victor Ash bis zur Künstlergruppe „Die Dixons“ insgesamt sieben Hauswände.
Urban Nation: Street-Art in Berlin | Euromaxx (Video)
BERLIN SPRICHT WÄNDE (Dokumentation als HD Video)
Top Street Art Künstler in Berlin
Aus den schon beschriebenen Gründen sind erschöpfende Listen relevanter Künstler besonders im Bereich der Street Art schwierig. Dennoch finden Sie über das Stadtgebiet verteilt die großflächigen Visitenkarten einiger international bekannter Künstler, die Erwähnung finden sollten.
Shepard Fairey
Einem größeren Publikum bekannt geworden ist Shepard Fairey vor allem seit seiner Hope-Kampagne für den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama. Und auch die augenzwinkernde Marketing-Kampagne „Obey Giant“ hat längst Eingang in die (auch unironische) Jugendkultur gefunden. Werke wie „No Future“ oder „Make Art not War“ sind echte Aushängeschilder des Mural Art Standortes Berlin.
Jim Avignon
Die bunten, poppigen Figuren von Jim Avignon sind längst ein Begriff über die Subkultur hinaus.
Seine kritisch-fröhlichen Werke finden sich unter anderem beim Artpark Tegel oder beim Tagesspiegel.
ROA
Deutlich düsterer, aber ebenso eindrucksvoll sind die Werke des Künstlers ROA. Dieser setzt meist lebendige und tote Tiere in einer gezeichneten Ästhetik in Szene. Seine bekanntesten Werke befinden sich in der Oranienstraße und in der Schönhauser Allee.
Herakut
Jasmin Siddiqui (Hera) und Falk Lehmann (Akut) arbeiten als Künstlerduo zusammen und behandeln Themen, die ihrer Ansicht nach alle Menschen auf der Welt verbinden. Viele Arbeiten bewegen sich um das ausgedachte Geschwisterpaar Lily und Jake und haben fantastische Züge.
Ihre Arbeiten findet man unter anderem auf der Alt-Stralau und in der Stromstraße.
Nomad
Der Berliner Künstler Nomad ist stilistisch in der Nähe der Pop Art zu verorten. Dementsprechend setzen sich auch viele seine Werke mit der zunehmenden Kommerzialisierung von Street Art auseinander.
In der Oppelner Straße im Wrangelkiez ist seine Arbeit „Rounded Heads“ zu sehen.
1UP (One United Power)
Wenn Sie in Berlin die Augen offen haben, werden Sie fast zwangsläufig auch die Arbeiten des Berliner Künstlerkollektivs 1UP sehen.
Die spektakulären, meist politischen Arbeiten der Gruppe bewegen sich zwischen Stylewriting und großflächiger Farbroller-Ästhetik und finden sich an prominenten Plätzen über das ganze Stadtgebiet verteilt.
Thierry Noir
Einer der frühen Vertreter der hauptstädtischen Mural Art Szene ist der Franzose Thierry Noir.
Seine bunten, glubschäugigen Köpfe sind unter anderem an der East Side Gallery zu sehen.
Die Stadt als Freilichtmuseum
Alle Auflistungen über eine so lebhafte Kulturszene wie die der Urban Art bleiben natürlich unvollständig und können nur bruchstückhaft die ganze vorhandene Vielfalt vermitteln. Auch über die spektakulären großflächigen Werke hinaus gibt es viel zu entdecken.
Das reicht von handgroßen Fliesenmosaiken bis hin zu den kleinen gegenständlichen Figürchen, die über die ganze Stadt verteilt zum Beispiel auf Straßenschildern zu finden sind.
Der beste Tipp bleibt daher, mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen und sich von den vielen künstlerischen Interventionen im Stadtbild überraschen zu lassen.
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.