Vor exakt einem Jahrhundert sorgte die Darstellung von Nacktheit in der Kunst für einen der bedeutendsten Skandale in der Geschichte der Kunst. In diesem Jahr feiern wir das 100-jährige Jubiläum einer Ausstellung mit Gemälden des italienischen Künstlers Amedeo Modigliani in der Pariser Galerie Berthe Weill. Die provokanten Darstellungen nackter Körper schockierten die Öffentlichkeit derart, dass die Polizei eingreifen musste.
Die verborgene Wahrheit: Nacktheit in der Kunstgeschichte – ein kritischer Blick
In der Tat, Modigliani war nicht der einzige Künstler, der wegen seiner Darstellungen von Nacktheit in Schwierigkeiten geriet. Der österreichische Maler Egon Schiele verbrachte sogar im Jahr 1912 24 Tage im Gefängnis, verurteilt wegen „Unsittlichkeit“ aufgrund seiner zahlreichen Aktzeichnungen. In dieser Zeit wurde der nackte Körper zu einem Thema der Herausforderung und des Wettbewerbs. Diese Werke entstanden während des Ersten Weltkriegs, einer Zeit, in der mehr Frauen berufstätig waren und ein unabhhängigeres Leben führten – eine Periode gesellschaftlicher Umbrüche und Ängste.
Egon Schiele hat in seinem Gemälde von 1911, das zwei nackte Frauen zeigt, auf eindrucksvolle Weise eine intensive und unverblümte Liebesszene dargestellt. Dies unterstreicht seine Rolle als ein provokanter Meister des Expressionismus. In dieser Darstellung wird auf jegliche Beschönigung verzichtet und stattdessen die rohe und emotionale Seite körperlicher Liebe jenseits gesellschaftlicher Normen offenbart. Zur damaligen Zeit stieß Schieles freizügige Kunst auf Ablehnung und führte sogar dazu, dass er kurzzeitig wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral festgenommen wurde.
Es ist wirklich interessant zu sehen, dass bei der britischen Volkszählung im Jahr 1871 bereits 1.069 professionelle Künstlerinnen registriert wurden, im Vergleich zu nur 278 im Jahr 1841. Obwohl bis 1871 insgesamt 117 Frauen an der Royal Academy of Arts zugelassen wurden, war der Aktzeichenkurs für sie weiterhin tabu.
Die Geschichte, die sich zwischen künstlerischer Freiheit und gesellschaftlichen Tabus entfaltet, ist voller Widersprüche und hält bis heute an. Ein Beispiel dafür ist die Performance von 100 nackten Frauen in der Berliner Nationalgalerie im Jahr 2005.
Warum Nacktheit in der Kunst polarisiert
Diese Abbildung dient Veranschaulichungszwecken und wurde mittels einer Bild-KI erstellt.
Der menschliche Körper in seiner natürlichsten Form polarisiert seit Jahrhunderten. Obwohl Nacktheit das Menschlichste ist, das jeder Mensch besitzt, scheiden sich an diesem Thema die Geister. Die Darstellung nackter Körper in der Kunst spiegelt stets gesellschaftliche Normen wider und stößt oft an kulturelle Grenzen.
Nacktheit als Ausdruck von Schönheit und Macht
Die Darstellung des menschlichen Körpers ohne Bekleidung kann als kraftvolle Manifestation von Schönheit und Selbstbewusstsein betrachtet werden.
In der Antike wurde der menschliche Körper in all seiner Schönheit gefeiert. Die alten Griechen sahen Nacktheit als Ausdruck von Göttlichkeit und perfekten Proportionen. Es ist faszinierend zu erfahren, dass antike männliche Statuen mit eher kleinen Genitalien dargestellt wurden, da ein großer Penis damals als Symbol für Triebhaftigkeit und Dummheit galt.
Mit dem Einzug des Christentums in Europa vollzog sich eine bedeutende Veränderung im Denken der Menschen. Plötzlich galt der menschliche Körper als sündhaft, symbolisiert durch die Geschichte von Adam und Eva, die nach dem Biss in den Apfel ihre Nacktheit erkannten und sich dafür schämten. *.
Unterschiedliche Wahrnehmung je nach Geschlecht
Es ist interessant zu beobachten, wie Nacktheit je nach Geschlecht unterschiedlich wahrgenommen wird. Historisch gesehen wurde der weibliche Körper oft als Sinnbild für Sinnlichkeit und Erotik betrachtet, während der männliche Körper eher mit Stärke, Macht und Potenz in Verbindung gebracht wurde. Diese klare Unterscheidung hat zu einer Art Dualismus geführt, der Natur und Triebhaftigkeit einerseits und Idee und Zivilisation andererseits gegenüberstellt.
Es ist wirklich bemerkenswert, dass in den modernen Museumsabteilungen weniger als 5% der KünstlerInnen vertreten sind, obwohl 85% der Aktdarstellungen weiblich sind.
Nackte Brüste und gesellschaftliche Doppelmoral
Besonders die weibliche Brust polarisiert als Symbol der Mutterschaft oder als erotisches Objekt, als Sinnbild der Fruchtbarkeit oder der Verführung *. Die Aktzeichnung „Liegender weiblicher Akt III“ (1904) von Lovis Corinth verdeutlicht diese Dichotomie:
Die Frau ist völlig entblößt, räkelt sich auf einem Bett, ist vollbusig, hat üppige Schenkel – und das Gesicht spielt eigentlich keine Rolle. Die Brüste sind ein erotischer Appell“,
kommentierte eine Kuratorin in einem TAZ-Artikel.
Auch Corinth’s Portraitgemälde „Frauengruppe Freundinnen“ von 1904 schlägt in dieselbe Kerbe…
Entblößte Jugend – Nackte Mädchen als Bildmotiv
Das Ölgemälde „Nacktes Mädchen“ von Corinth aus dem Jahr 1886 stellt ebenfalls die Brüste und die körperliche Weiblichkeit eines jungen Mädchens in den Fokus.
Das dürfte aus heutiger Sicht und unter Berücksichtigung des Jugendschutzes nochmals pikanter sein, zumal zu der Zeit der Entstehung dieses Portraits die Volljährigkeit erst mit 25 Jahren einsetzte. In Württemberg wurde die Volljährigkeit mit dem Gesetz vom 30. Juni 1865 von 25 auf 23 Jahre herabgesetzt.
Auch die KünstlerInnen Albert de Belleroche, Giuseppe Palanti, Alice Pike Barney, Guillaume Seignac, Baron Pierre Narcisse Guerin und der bedeutende Post-Impressionist Pierre Auguste Renoir schufen Werke, welche die weibliche Jugend und Anmut in entblößten Körpern zum Thema hatten.
Eine etwas andere Bildaussage leistet das Werk „Nacktes Mädchen mit Kopftuch“ (1910) von August Macke. Der Expressionist malte viele Aktdarstellungen seiner Frau Elisabeth, deren Gesicht und Körper er vereinfacht darstellte – beeinflusst von Henri Matisse. Dabei betonte er weniger die sexuelle Komponente, sondern vielmehr die Natürlichkeit und Reinheit seines Modells. Elemente wie das Kopftuch und die zurückhaltende Haltung erinnern an Madonnenbilder und verleihen den Akten eine sakrale Note, die um 1910/11 typisch für Macke war und im Gegensatz zu den offen erotischen Werken der „Brücke“-Künstler steht.
Auch Vincent van Gogh dürfte mit seinem postimpressionistischen Gemälde „Sitzendes Nacktes Mädchen“ keine sexualisierte Darstellung eines Kindes im Sinne gehabt haben. Es zeigt vielmehr eine übliche Alltagssituation, in der der Maler wie ein neutraler Beobachter wirkt.
Als kontrastierendes Gegenbeispiel dazu eignet sich die freizügige, geradezu obszöne Zurschaustellung der weiblichen Genitalien durch Egon Schieles „Nacktes Mädchen mit ausgestreckten Armen“ (1911).
Während männliche Nacktheit oft als Ausdruck von Kraft interpretiert wird, werden weibliche Brüste in sozialen Medien zensiert. Ein Gemälde wie das von Jean-Baptiste Deshays könnte
in heutigen sozialen Medien kaum gezeigt werden – wegen der Nippel würde es gelöscht“.
Diese ungleiche Behandlung offenbart die gesellschaftliche Doppelmoral im Umgang mit Nacktheit.
Zensur und Kontrolle im Laufe der Geschichte
Die Kunstgeschichte ist voll von Erzählungen über Zensur. Schon seit Ewigkeiten versuchen sowohl religiöse als auch weltliche Mächte, die Darstellung nackter Körper in der Kunst zu unterdrücken. Diese Auseinandersetzungen haben definitiv ihre Spuren hinterlassen.
Über kirchliche Eingriffe und Feigenblätter
Die Zensur der römischen Kirche entstand zur gleichen Zeit wie die Stärkung der Position des römischen Bischofs. Streitigkeiten innerhalb der katholischen Kirche, die zu Vorwürfen der Häresie und zur Verbrennung von Büchern führten, waren oft Ausdruck des Machtkampfes um die Vorherrschaft des römischen Bischofs. Das Feigenblatt wurde dabei zum Symbol dieser Zensur.
In der Geschichte der Bibel bedeckten Adam und Eva nachdem sie gesündigt hatten, ihre Blöße mit Feigenblättern. Diese Metapher hatte einen großen Einfluss auf die Kunst über Jahrhunderte hinweg. Während der Gegenreformation im 16. Jahrhundert wurde der Kampf gegen Nacktheit deutlich intensiviert. Papst Clemens VIII. ging sogar so weit, Kruzifixe in römischen Kirchen zu verhüllen und Skulpturen der Maria Magdalena zu verdecken.
Der Fall Michelangelo und der Hosenmaler
Besonders bekannt ist der Fall von Michelangelos „Jüngstem Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle (WELT berichtete *). Das 1541 enthüllte Meisterwerk löste unmittelbar Kontroversen aus. Bereits damals kritisierte Biagio da Cesena, der Zeremonienmeister des Papstes, dass
die vielen nackten Körper, die ihre Scham zur Schau stellen, für einen so ehrwürdigen Ort wie die Papstkapelle unschicklich seien“.
Kurz vor Michelangelos Tod 1564 wurde der Erlass „Pictura in Cappella Ap[ostoli]ca coopriantur“ verabschiedet, der Übermalungen vorsah. Mit dieser Aufgabe wurde Daniele da Volterra betraut, was ihm den spöttischen Beinamen „Braghettone“ (Hosenmaler) einbrachte. Bei der Restaurierung im 20. Jahrhundert konnten viele Übermalungen entfernt werden – allerdings nicht die Verhüllungen der Heiligen, da Volterra diese Stellen abgeschlagen und auf frischem Putz neu freskiert hatte. *
Moderne Zensur
Die Zensur von Nacktheit setzt sich bis in die Gegenwart fort. Im 19. Jahrhundert blühte eine regelrechte Produktion von Feigenblättern für antike Statuen, angeblich zum Schutz von „Damen und höheren Töchtern“. Noch 1891 versuchte man im Reichstag, den Paragrafen über „unzüchtige Schriften, Abbildungen und Darstellungen“ zu verschärfen, sodass bereits strafbar sein sollte, „was ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletze“. *
Diese sogenannte „Lex Heinze“ zeigte, wie tief die Prüderie verwurzelt war. Erst nach dem Ersten Weltkrieg verschwanden die Feigenblätter allmählich aus den Museen – ein Prozess, den die Münchner Glyptothek im Jahr 2000 in der Ausstellung „Das Feige(n)blatt“ dokumentierte.
Feministische Kritik und neue Perspektiven
Die feministischen Bewegungen haben wirklich viel dazu beigetragen, wie Nacktheit in der Kunst dargestellt wird. Indem sie traditionelle Darstellungsformen kritisch hinterfragt haben, haben sie neue Perspektiven eröffnet und etablierte Normen in Frage gestellt.
Die Schönheit des weiblichen Körpers aus der Perspektive einer Frau
Die Frage der Guerrilla Girls „Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?“ ist provokant und wirft ein wichtiges Thema auf: In modernen Museen sind weniger als 5% der Künstlerinnen vertreten, obwohl 85% der Aktdarstellungen weiblich sind. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass weibliche Künstlerinnen systematisch aus dem kollektiven Gedächtnis ausgeschlossen werden, nicht aufgrund ihrer Abwesenheit, sondern durch gezieltes „Vergessen“. *
Künstlerinnen wie Lotte Laserstein, Natalja S. Gontscharowa, Helene Funke, Broncia Koller-Pinell und Suzanne Valadon revolutionierten die Aktmalerei mit ungeschönten Frauendarstellungen. Ihre Akte waren nicht länger sinnliche Projektionsflächen männlicher Malerfantasien, sondern authentische Körper, wie in der MDR-Doku LAST WOMEN ART in Zusammenarbeit mit ARTE eindrucksvoll dargestellt wird.
Ihr Werk „Das blaue Zimmer“ zeigt eine moderne Frau, die mit Zigarette im Mund entspannt daliegt – ein Gegenentwurf zum sexualisierten Odaliske-Motiv . *
Cynthia „Cindy“ Morris Sherman ist eine US-amerikanische Künstlerin und Fotografin, die mit ihrer Arbeit seit Jahrzehnten die Sicht auf die Frau hinterfragt und bildhaft erforscht. Besonders bekannt wurde sie durch ihre außergewöhnlichen Fotoserien, in denen sie sich auf sehr kreative und tiefgründige Weise mit Themen wie Identität, Rollenbildern und Körperlichkeit auseinandersetzt.
Dabei schlüpfte sie selbst in verschiedene Rollen und verwandelte sich vor der Kamera immer wieder neu – fast so, als würde sie uns ein Spiegelbild unserer eigenen gesellschaftlichen Erwartungen und Selbstbilder vorhalten. Auch wenn sich Cindy Sherman nicht direkt mit Aktfotografie beschäftigte, dürfte ihr Œuvre unsere Sicht auf Frauen und die Auseinandersetzung mit Weiblichkeit und kultureller Attribution geprägt haben.
Matrixial Gaze und geteilte Subjektivität
Die Psychoanalytikerin Bracha L. Ettinger entwickelte in den 1990er Jahren die Theorie des „Matrixial Gaze“ als Gegenstück zu phallozentrischen Anschauungen. Die Matrix (von lat. matrix, „Gebärmutter“) fungiert als psychologisch-philosophisches Konstrukt, mit dessen Hilfe die Ursprünge menschlicher Relationalität erörtert werden können. Dieser Ansatz propagiert eine Wahrnehmung der Toleranz und des Miteinanders – die friedliche Koexistenz des Selbst und des Anderen.
Die Kunsthistorikerin Griselda Pollock sieht darin eine Alternative zur „Vorstellung eines separaten, für sich alleinstehenden Subjekts, das sich durch klare Grenzen definieren muss“. Diese symbolisch-weibliche Wahrnehmung ist nicht zwingend an ein biologisches Geschlecht gebunden.
Warum nackte Männer anders wahrgenommen werden
Bei der Darstellung weiblicher Nacktheit kann von einem Gewöhnungseffekt gesprochen werden, der zu scheinbarer Akzeptanz führt. Diese Gewöhnung fehlt bisher bei der Darstellung von nackten Männern. Während in der griechischen Antike der männliche Körper das künstlerische Ideal verkörperte und „die Liebe unter Männern die bevorzugte war“ (Deutschlandfunk *), unterliegt männliche Nacktheit heute strengeren Regeln.
Der nackte Mann ist nicht werbetauglich, wenn er als rein dekoratives Beiwerk positioniert wird, was bei Frauen durchaus üblich ist. Ein sportlicher Kontext trägt hingegen zur Akzeptanz bei, ebenso wie ästhetisierende Darstellungsweisen.
Die Gegenwart: Zwischen Freiheit und Verantwortung
Im Spannungsfeld zwischen künstlerischer Freiheit und ethischer Verantwortung bewegt sich die Darstellung von Nacktheit in der zeitgenössischen Kunst. Die Grenzen zwischen Kunst, Provokation und Missbrauch werden heute schärfer diskutiert denn je.
Sally Mann und nackte Kinder in der Kunst
Die amerikanische Fotografin Sally Mann erlangte 1992 mit ihrem Fotoband „Immediate Family“ internationale Bekanntheit. Die 65 Schwarzweißfotos zeigen ihre eigenen Kinder Jessie, Virginia und Emmett, teilweise unbekleidet, in alltäglichen und inszenierten Situationen. Die melancholischen Bilder lösten heftige Kontroversen aus. Konservative Stimmen warfen Mann vor, ihre Kinder zu sexualisieren, und stellten ihre Eignung als Mutter infrage (Barnebys berichtete *). Einige beschuldigten sie laut einem Beitrag der Galerie Karsten Greve sogar der Kinderpornografie *.
Mann selbst argumentierte, dass Nacktheit ein kollektives Merkmal der Kindheit sei und sie nie die Notwendigkeit empfunden habe, ihre Kunst von der Elternschaft zu trennen. Bemerkenswert ist, dass ihre Kinder sich nie von den Bildern distanzierten, sondern auch später noch für ihre Mutter posierten.
Dennoch bleibt die Frage: Wann ist die Darstellung nackter Kinder Kunst und wann überschreitet sie Grenzen?“
#MeToo und das Abhängen von Bildern
Die #MeToo-Bewegung erschütterte auch das Machtgefüge der Kunstwelt. Das britische Kunstmagazin „ArtReview“ platzierte die Kampagne 2017 auf Platz drei seines jährlichen Kunstrankings „Power 100″. Die Bewegung veränderte das Klima, in dem Kuratoren ausgewählt, Preise verliehen und Ausstellungen konzipiert werden (der Tagesspiegel berichtete *).
Infolgedessen mussten mehrere prominente Figuren der Kunstszene zurücktreten: Artforum-Mitherausgeber Knight Landesman, Armory-Show-Direktor Benjamin Genocchio und der Kurator Jens Hoffmann wurden alle wegen Belästigungsvorwürfen ausgeschlossen. Außerdem entfachte #MeToo in vielen Museen eine Debatte darüber, welche Kunst überhaupt noch gezeigt werden darf.
Ist Nacktheit heute noch ein Tabu?
Während Nacktheit in der Kunst allgegenwärtig erscheint, unterliegt sie dennoch komplexen Regeln. In sozialen Medien herrscht ein regelrechter „Nippelwahn“ – besonders weibliche Brustwarzen werden zensiert. Gleichzeitig werden KI-Chatbots bei der Eingabe von Begriffen wie „Erotica“ abgebrochen.
Dennoch gilt:
Die Kunst ist frei. Darüber kann man diskutieren, ob ein Kunstwerk geschmacklos ist oder nicht. Aber man kann keine Zensur ausüben“.
Der Hauptkurator der Berliner Kunstgalerie C/O argumentiert, dass Museen als geschützte Räume fungieren sollten, in denen öffentliche Diskussionen über Nacktheit möglich sind.
Nacktheit in Performances und Museen
Performance-Kunst nutzt Nacktheit oft als Mittel, um gesellschaftliche Normen zu hinterfragen. Bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren hielt Marina Abramović mit ihrer „Body Art“ der Gesellschaft einen Spiegel vor. In ihrer Ausstellung „Balkan Erotic Epic“ (2006) beleuchtete sie den Einsatz von Sexualität in heidnischen Traditionen des Balkans.
Auch die in Genua geborene Performance-Künstlerin Vanessa Beecroft ist eine Kunstschaffende, die häufig kontrovers diskutiert wird; ihr künstlerisches Schaffen fungiert als ein Medium, das gelegentlich missverstanden wird und oftmals scharfer Kritik ausgesetzt ist. Beecroft zählt zweifellos zu den herausragenden Persönlichkeiten der internationalen Kunstwelt. Seit 1993 widmet sie sich intensiv dem Thema der weiblichen Beobachtung und Selbstreflexion.
Bis heute hat Beecroft an über 50 verschiedenen Orten ausgewählte, meist unbekleidete Modelle präsentiert, die während der Aufführungen weder sprechen noch sich stark bewegen dürfen. Ihre Performances, Fotografien und Videos zeichnen sich durch eine meditative Stille aus, in der die dargestellten Frauen verharren, was an rituelle Handlungen erinnert.
Weiterhin hat sich die österreichische Medien- und Performancekünstlerin VALIE EXPORT im diesem Feld hervorgetan. Sie provozierte mit ihrem Körper (sog. Body Performances) und lenkte mit ihrer Kunst den Blick auf die Unterdrückung der Frau.
Die Frage bleibt allerdings, wann Nacktheit in der Performance-Kunst noch kraftvolle Aussage ist und wann sie zum bloßen Skandalwert verkommt. Das Kunstmagazin Monopol merkte dazu an *:
Der Grenzübertritt ‚Unbekleidet in der Öffentlichkeit‘ erzeugt einen Skandalwert, der den künstlerischen Wert überdeckt“.
Was bleibt festzuhalten…
Es ist kenntniserweiternd zu sehen, wie der Umgang mit dem nackten Körper immer die Werte und Moralvorstellungen einer bestimmten Zeit widerspiegelt. In der Antike wurde die männliche Nacktheit hochgeschätzt, während später die Kunst sich hauptsächlich auf den weiblichen Körper als Objekt männlicher Betrachtung konzentrierte.
Besonders sticht hier eine auffällige Diskrepanz ins Auge: Obwohl 85% der dargestellten Akte weiblich sind, stammen weniger als 5% der ausgestellten Kunstwerke von Frauen. Diese Ungleichheit zeigt deutlich, dass Kunstgeschichte nicht neutral ist, sondern tatsächlich gesellschaftliche Machtverhältnisse widerspiegelt.
Die Geschichte der Zensur zeigt auch, wie stark die zwiespältige Haltung gegenüber Nacktheit in unserer Kultur verwurzelt ist. Vom Verhüllen mit Feigenblättern in der Renaissance bis zum Löschen von Bildern in sozialen Medien – die Kontrolle über die Darstellung nackter Körper bleibt ein umstrittenes Thema. Allerdings hat sich der Diskurs verändert: Früher waren es vor allem religiöse Autoritäten, die die Grenzen setzten, während heute ethische Überlegungen und Fragen nach Einverständnis und Würde die Debatte prägen.
Es ist klar, dass feministische Ansichten neue Sichtweisen eröffnet und herkömmliche Darstellungsweisen in Frage gestellt haben. Künstlerinnen wie Suzanne Valadon haben alternative Darstellungen des weiblichen Akts geschaffen und somit die vorherrschende männlich geprägte Kunstszene herausgefordert.
Trotz aller Liberalisierung unterliegt die Darstellung von Nacktheit nach wie vor komplexen Regeln. Die scheinbare Akzeptanz gilt hauptsächlich für weibliche Körper, während männliche Nacktheit weiterhin stärkeren Tabus unterworfen ist. Gleichzeitig werden soziale Medien zu neuen Zensurinstanzen, die besonders weibliche Körper reglementieren.“
Letztendlich bleibt die Kunst ein Ort, an dem gesellschaftliche Tabus verhandelt werden können. Museen und Galerien bieten geschützte Räume für diese notwendigen Diskussionen. Die Frage, wann Nacktheit Kunst und wann sie Provokation ist, muss jede Generation aufs Neue beantworten – ein fortwährender Dialog zwischen künstlerischer Vision, gesellschaftlichen Werten und individueller Wahrnehmung.
Quellen, fachliche Unterstützung und weiterführende Informationen:
- V – Das Studimagazin: Eine kurze Geschichte der Nacktheit in der Kunst, https://v-magazin.studierende.fau.de/2021/04/nacktheit-in-der-kunst/
- Süddeutsche Zeitung: Nackt, wie das Waxing-Studio sie schuf,https://www.sueddeutsche.de/kultur/nacktheit-in-der-kunst-nackt-wie-das-waxing-studio-sie-schuf-1.2760965
- perlentaucher: Eine solche Selbstbestimmung, https://www.perlentaucher.de/fotolot/ueber-sally-manns-retrospektive-in-paris.html
- Barnebys: „Meine Augen sind hier oben!“ – Die weibliche Brust in der Kunst, https://www.barnebys.de/blog/meine-augen-sind-hier-oben–die-weibliche-brust
- taz: Kuratorin über Brüste in der Kunst „Verhüllen und Zeigen“, https://taz.de/Kuratorin-ueber-Brueste-in-der-Kunst/!5948767/
- Städel Museum: Digitale Sammlung – August Macke Nacktes Mädchen mit Kopftuch, 1910, https://sammlung.staedelmuseum.de/de/werk/nacktes-maedchen-mit-kopftuch
- Süddeutsche Zeitung: Aktuelles Lexikon Feigenblatt, https://www.sueddeutsche.de/kultur/aktuelles-lexikon-feigenblatt-1.2836105
- WELT: Mit Michelangelo begann die Pornografie-Debatte, https://www.welt.de/geschichte/article139547799/Kunst-Vatikan-Mit-Michelangelo-begann-die-Pornografie-Debatte.html
- Die Furche: Frauen in der Kunstgeschichte: Ignoriert und hintergangen, https://www.furche.at/feuilleton/kunst/frauen-in-der-kunstgeschichte-ignoriert-und-hintergangen-7923758
- LAST WOMEN ART: Aktmalerei – Eroberung eines männlichen Sujets, https://www.lostwomenart.de/chapter/aktmalerei/
- Hypotheses: Suzanne Valadon – Der weibliche Blick in der Kunst, https://idblog.hypotheses.org/461
- Finestre sull’Arte: Vanessa Beecroft. Die Antinomien des Begehrens, https://www.finestresullarte.info/de/werke-und-kunstler/vanessa-beecroft-die-antinomien-des-begehrens
- Luisa Catucci Gallery: Gruppenausstellung Matrixial Spaces, https://www.luisacatucci.com/de/matrixial-spaces-2/
- Universität Wien: The naked man Wahrnehmung und Akzeptanz von nackt dargestellten Männern in der Werbung in sportlichem und nichtsportlichem Kontext, https://phaidra.univie.ac.at/detail/o:1284006
- Deutschlandfunk: Aktdarstellung im Wandel der Zeit, https://www.deutschlandfunk.de/ikonografie-aktdarstellung-im-wandel-der-zeit-100.html
- Barnebys: Warum Sally Mann eine der aufregendsten und umstrittensten Fotografinnen unserer Zeit ist, https://www.barnebys.de/blog/warum-sally-mann-eine-der-aufregendsten-und-umstrittensten-fotografinnen-unserer-zeit-ist
- Galerie Karsten Greve: Sally Mann, https://galerie-karsten-greve.com/ausstellungen/1551-sally-mann
- Tagesspiegel: Kunstranking „Power 100“: Magazin wählt #MeToo-Bewegung zu Mächtigen der Kunstwelt, https://www.tagesspiegel.de/kultur/magazin-wahlt-metoo-bewegung-zu-machtigen-der-kunstwelt-5306479.html
- Deutschlandfunk Kultur: Eine Quote würde Künstlerinnen nicht helfen, https://www.deutschlandfunkkultur.de/galeristin-ueber-frauen-auf-dem-kunstmarkt-eine-quote-100.html
- Deutschlandfunk Kultur: Pornografie-Debatte „Im Museum wird nicht missbraucht“, https://www.deutschlandfunkkultur.de/pornografie-debatte-im-museum-wird-nicht-missbraucht-100.html
- SWR Kultur: Nackte Haut und Cancel Culture Nacktdarstellungen im Museum: Zwischen Pornografie und Emanzipation, https://www.swr.de/swrkultur/kunst-und-ausstellung/nacktdarstellungen-im-museum-zwischen-pornografie-und-cancel-culture-100.html
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.