Ein Keller in Wien, vollgestellt mit Kisten, Möbeln und vergessenen Papieren. In einer Mappe, zwischen Rechnungen und alten Fotos, tauchen mehrere Zeichnungen auf. Manche sind sogar mit dem Namen „Picasso“ signiert. Für die Familie ist es der Fund ihres Lebens. Sie glauben, ein Vermögen in Händen zu halten – bis die Untersuchung ergibt: kunstvoll gemacht, aber Fälschungen.
Solche Szenen spielen sich nicht in Museen oder Auktionshäusern ab, sondern in ganz gewöhnlichen Wohnungen. Alina Baranyi, Expertin für Nachlassauflösungen bei Rümpel Max, kennt sie aus nächster Nähe. Seit mehr als 15 Jahren begleitet sie Familien bei der Auflösung von Wohnungen und Häusern.
Über 2000 Nachlässe hat sie betreut – und immer wieder Objekte entdeckt, die unser Bild von Kunst- und Kulturgeschichte erweitern. „Eine Nachlassauflösung ist nie nur Logistik“, sagt sie. „Es ist eine Schatzsuche im Alltag.“
Ein Oppenheim im Wohnzimmer
Besonders eindrücklich war der Fund eines Gemäldes in einer Wohnung im alten Wiener Gemeindebezirk. Über Jahrzehnte hing es unbeachtet über dem Sofa, zwischen Familienfotos und verstaubten Regalen. Für die Angehörigen war es ein Bild ohne besonderen Wert. Doch im Zuge einer Wohnungsräumung fiel seine Qualität auf.
Fachleute wurden hinzugezogen – und die Untersuchung bestätigte den Verdacht: Es handelte sich um ein Werk von Moritz Daniel Oppenheim, dem bedeutenden jüdischen Maler des 19. Jahrhunderts. Mit Unterstützung des Jüdischen Museums Frankfurt konnte die Echtheit bestätigt werden.
Schiele oder Schatz?
Nicht jeder Fund lässt sich so eindeutig zuordnen. In einer Verlassenschaft eines Kunsthändlers kam eine Zeichnung zum Vorschein, deren kantiger Strich und flächige Komposition sofort an Egon Schiele erinnerten. Die Aufregung war groß. Mehrere Museen prüften das Werk, manche hielten es für möglich, dass es sich tatsächlich um ein Frühwerk handelte.
Am Ende jedoch stellte sich heraus: Es war von Otto Rudolf Schatz, einem österreichischen Künstler der Zwischenkriegszeit. Die Signatur war abgeschnitten – vielleicht versehentlich, vielleicht bewusst, um den Eindruck eines Schiele zu erwecken. „Das war ein Lehrstück in Erwartung und Realität“, erinnert sich Baranyi.
Die Hoffnung auf einen Sensationsfund war riesig, doch die Wissenschaft hat ihre eigenen Gesetze.“
Picasso im Keller
Noch aufregender wirkte der Fund im Keller einer alten Wohnung. Bei einer Entrümpelung Wien stieß das Team auf eine Mappe voller Zeichnungen. Einige Blätter trugen sogar den Namen Picasso.
Für die Familie war klar: Das musste der Schatz ihres Lebens sein. Doch die Analysen erzählten eine andere Geschichte: Das Papier stammte nicht aus der passenden Epoche, die Tinte verhielt sich auffällig, und manche Striche wiederholten sich fast mechanisch. Bald stand fest: keine Originale, sondern kunstvolle Fälschungen.
Die stilleren Schätze
Manchmal sind es gerade die unspektakulären Funde, die von besonderem Wert sind. Ein handkoloriertes Goethe-Buch, das zwischen Taschenbüchern im Regal stand. Urkunden des Kaiserhauses, die in einer Mappe jahrzehntelang unbeachtet lagen. Oder eine signierte Fotografie von Johann Strauss, die die Musikgeschichte Wiens plötzlich ganz nah erscheinen ließ.
Solche Stücke erzielen selten Rekorderlöse bei Auktionen, sind aber für Archive, Museen und Forschung unverzichtbar. Sie dokumentieren Alltagskultur und machen Geschichte auf intime Weise erlebbar.
Künstlernachlässe als Schatzkammern
Foto von Jazmin Quaynor @jazminantoinette, via Unsplash
Nicht nur private Wohnungen, auch ganze Künstlernachlässe werden aufgelöst. So etwa jener des weitgehend unbekannten Malers Fred Nowak. Was auf den ersten Blick nach dem Werk eines Vergessenen aussah, entpuppte sich bei genauer Sichtung als Sammlung mit unerwarteten Überraschungen: Darunter fanden sich Arbeiten von Arnulf Rainer und Alfred Hrdlicka, zwei Schlüsselfiguren der österreichischen Nachkriegskunst.
Solche Nachlässe sind Schatzkammern, die nicht nur das Werk eines Künstlers bewahren, sondern auch Netzwerke, Tauschgeschäfte und Einflüsse sichtbar machen.
Marktbeobachtungen: Design boomt, Antik bricht ein
Wer Nachlässe öffnet, sieht auch die Bewegungen des Marktes. Auffällig ist, dass modernes Design weiterhin stark gefragt ist. Stücke von Karl Auböck oder den Werkstätten Hagenauer erzielen hohe Preise, ebenso wie Vintage-Möbel aus den 1950er-, 60er- und 70er-Jahren. Mid-Century-Design bleibt ein Publikumsliebling.
Ganz anders sieht es bei klassischen Antiquitäten aus. Möbel aus dem Barock, dem Historismus, der Gründerzeit oder dem Biedermeier sind heute kaum verkäuflich. „Wir beobachten, dass die Gegenwart das Interesse bestimmt“, sagt Baranyi.
Designklassiker sind begehrt – alte Antiken dagegen bleiben stehen.“
Fazit: Schatzsuche im Verborgenen
Nachlassauflösungen sind weit mehr als das Räumen von Wohnungen. Sie sind Reisen in die Vergangenheit, die Schätze, Erinnerungen und manchmal auch Streitfragen ans Licht bringen. Von einem vergessenen Oppenheim über Picasso-Fälschungen bis hin zu Markttrends und Expertenstreitigkeiten – jede Auflösung erzählt eine eigene Geschichte.
„Wir wissen nie, was uns erwartet“, sagt Baranyi. „Doch genau das macht es faszinierend. Jeder Nachlass ist eine Schatzkiste – manchmal voller Erinnerungen, manchmal voller Kunstgeschichte.“
Inhaber und Geschäftsführer von Kunstplaza. Publizist, Redakteur und passionierter Blogger im Bereich Kunst, Design und Kreativität seit 2011. Erfolgreicher Abschluss in Webdesign im Rahmen eines Hochschulstudiums (2008). Weiterentwicklung von Kreativitätstechniken durch Kurse in Freiem Zeichnen, Ausdrucksmalen und Theatre/Acting. Profunde Kenntnisse des Kunstmarktes durch langjährige journalistische Recherchen und zahlreichen Kooperationen mit Akteuren/Institutionen aus Kunst und Kultur.