Sagenhafter Lichtenstein
Roy Lichtenstein gehört mit Andy Warhol zu den Künstlern, deren Werke jeder erkennt, (fast) überall in der Welt. Seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts produziert er seine eingängige Kunst, und er wurde damals schnell zu einer der Leitfiguren der modernen Kunst.
Und damit natürlich auch einer der zentralen Protagonisten der Pop-Art, seine Arbeit gilt als die Kunst, die die Grundvoraussetzungen der Pop-Art besser als das Werk irgendeines anderen Künstlers parodistisch definiert hat.
Lichtenstein selbst hat die Pop-Art beschrieben als „nicht ‚amerikanische‘ Malerei, sondern eigentlich industrielle Malerei„, ein Blick auf Werdegang und Aufstieg des Künstlers zeigt allerdings, dass sich der Preis seiner Kunstwerke in einer Art entwickelt, die nicht an industrielle Massenfertigung, sondern eher an Anlagenbau in der Großindustrie erinnert.
Lichtensteins komfortabler Start in die Kunstwelt
Roy Lichtenstein wird 1923 in New York City als Kind der gehobenen jüdischen Mittelklasse geboren, mit einem Immobilienmakler als Vater und einer Mutter in der klassischen Hausfrauenrolle. Er wächst auf in der „Upper West Side“, dem exklusiven Teil Manhattans, der zwischen Central Park und Ufer des Hudson River liegt, und besucht nach den Grundschuljahren auf der öffentlichen Schule die private Franklin School for Boys.
Lichtenstein hatte schon als Kind früh gezeichnet, weil dieses Hobby an der Franklin nicht schulisch vermittelt wurde, schrieb er sich schon während der Schulzeit an der Parsons School of Design ein, um an den Samstagen Aquarelle zu malen.
Der junge Lichtenstein interessierte sich auch für Anthropologie und Naturwissenschaften, er verbrachte viel Zeit im ganz in der Nähe der Elternwohnung liegenden American Museum of Natural History.
Bekannt ist auch, dass Lichtenstein als Jugendlicher mit Leidenschaft den damals höchst angesagten Hörspielen lauschte. Er soll sich vor allem die Hörspiele herausgesucht haben, deren Geschichten sich um mitunter düstere (Anti) Helden drehten, die auch von Comics bekannt waren, wie „The Shadow“, „Flash Gordon“ oder „Buck Rogers“.
Später wurde dieser Spaß gedeutet: Der junge Roy habe hier unbewusst heroische und mystische Klischees aufgenommen. Der vielseitig aufnahmebereite Teenager besuchte dann noch häufig Jazz-Konzerte im Apollo Theater in Harlem, wo er mit Hingabe die Musiker porträtierte.
Im letzten High-School-Jahr fand Lichtenstein von der Parsons School of Design zu deren ehemaliger Mutterorganisation, der Art Students League of New York, an der er sich in die Sommerklasse einschrieb.
Hier arbeitete er unter der Betreuung von Reginald Marsh, einem Künstler des amerikanischen Regionalismus, in dem neben einer realistischen Darstellung des ländlichen Lebens einem Verständnis der Entwicklung neuer Technologien und damit auch einem Verständnis neuer Kunst wenig Raum gegeben wurde.
Die „realistischen Regionalisten“ kannte Lichtenstein aus seiner High-School-Zeit, sie wurden in den 1930er Jahren in den USA hochgeschätzt. In dieser Zeit der Großen Depression erfüllten die heilen Bilder des amerikanischen Landlebens ähnliche kompensatorische Zwecke wie unsere Heimatfilme nach dem 2. Weltkrieg.
Lichtenstein war vermutlich begeistert, unter einer Berühmtheit zu zeichnen, von der er schon in seinem allerersten Kunstbuch gelesen hatte, „Thomas Craven’s Modern Art“ von 1934.
Auch wenn Marsh durchaus einen sozialen Realismus abbildete, der sich nicht in schönen Landbildchen erschöpfte, war sein Schüler jedoch bald enttäuscht von Marshs Forderung nach realistischer Kunstausübung, die sowohl die rasante Entwicklung der Technik vernachlässigte als auch die Entwicklung eines eigenen künstlerischen Stils für überflüssig hielt.
Vielleicht hatte Lichtenstein aus dem Regionalismus auch eine ganz andere Anregung mitgenommen, auf jeden Fall beschloss er nach der High-School, mehr von seinem Land zu erkunden, und entschied sich für ein Studium an der Ohio State University (ab 1940).
Nach Überlieferungen ein echter Glücksfall für den angehenden Künstler, auch wenn auf Bitten seiner Eltern zunächst die Lehramtsbefähigung anstrebte: Er lernte bei Künstler und Professor Hoyt L. Sherman, der seinen künstlerischen Horizont erheblich erweitern sollte.
Sherman, ein Anhänger und Meister der modernen Kunst, machte Lichtenstein mit den wichtigsten Einflussgebern der damaligen Kunst bekannt: Cézanne und van Gogh, Mondrian und Gauguin, Matisse und Picasso und vielen mehr. Vor allem mit seinen Ermutigungen, einen eigenen Ansatz zu suchen, und seinem Konzept der Wahrnehmungseinheit sollte Sherman lebenslangen Einfluss auf Lichtenstein haben.
Lichtenstein fing nun an, sich mit der Geschichte der Kunst etwas gründlicher zu beschäftigen, man könnte auch sagen, er wollte alles über Kunst wissen, seit den ersten Höhlenbildern. In der Lichtenstein-Foundation ist als Erinnerung an diese Zeit ein Exemplar von Elizabeth Gardner’s „Art through the ages“ (1936), mit Lichtensteins Adresse in Columbus (Hauptstadt von Ohio und Sitz der Uni) im Einband.
Lichtensteins künstlerische Ich-Findung wird jäh unterbrochen
1943 holte der 2. Weltkrieg Lichtenstein ein, er diente bis 1945 in der Army, die ihn in Europa einsetzte. Lichtenstein belegte nach dem Krieg in Paris Kurse für Geschichte und Französisch und versuchte sein Vorbild Picasso zu besuchen – was ihm nicht gelang, weil er schon nach sechs Wochen zurück in die Heimat gerufen wurde: Sein Vater lag im Sterben.
Lichtenstein schloss nun im Sommer 1946 sein Lehrer-Studium ab und begann an der Ohio State University den Master of Fine Arts-Studiengang, den er 1950 beendete. Gleichzeitig wurde ihm eine künstlerische Lehrtätigkeit angeboten, die er bis 1951 regelmäßig und danach gelegentlich ausübte.
Zwischendurch hatte er Isabell Wilson geheiratet, mit der er nach Cleveland zog, weil diese dort eine Anstellung gefunden hatte. Im Gegensatz zu Lichtenstein, er nahm alle möglichen Jobs an, als Zeichner und als Dosen-Designer, konnte in Cleveland zum ersten Mal alleine ausstellen und hatte 1951 sogar in New York seine erste Einzelausstellung, der Begeisterungssturm für seine halbherzig abstrakten Bilder blieb jedoch zunächst aus.
Lichtenstein reiste nun zwischen Cleveland und New York hin und her, arbeitete als Entwurfszeichner und als Schaufenster-Dekorateur, bekam 1954 den ersten und 1956 den zweiten Sohn und malte zwischendurch auch ein wenig.
Künstlerisch geschah in dieser Zeit nicht viel: Lichtenstein schwankte immer noch zwischen Expressionismus und Kubismus und selbstbestimmter Abstraktion, er verfremdete einige typische amerikanische Bilder und bemalte Holzkonstruktionen, versuchte sich in Skulpturen aus Holz und Metall und stellte bis 1955 auch noch insgesamt drei Mal in New York aus, nur verkauft wurde kaum etwas.
Das waren keine guten Voraussetzungen, um etwas zum Lebensunterhalt einer vierköpfigen Familie beizutragen, so nahm er 1957 seine Lehrtätigkeit wieder auf, 1958 wurde ihm eine Anstellung an der New State University in Oswego als Assistenzprofessor für Kunst angeboten, wo er die nächsten Jahre unterrichtete.
Endlich! – Lichtensteins Aufstieg zum Ruhm
1960 wechselt Lichtenstein an die Rutgers University im Bundesstaat New Jersey. Hier lernt er Allan Kaprow kennen, den Erfinder der „Happenings“, und über ihn wichtige zeitgenössische Künstler wie Robert Watts, Jim Dine, Claes Oldenburg, Robert Rauschenberg und Jasper Johns, also die Wegbereiter der Pop-Art in Konzentration.
All diese Begegnungen mit ihren Einflüssen sollen eine Art Initialzündung in Lichtenstein ausgelöst haben, 1961 malte er seine ersten Pop-Art-Bilder, erst experimentierte er mit Kaugummibildern, dann brachte er diese in großem Format heraus, dann brach er mit allen Traditionen seines bisherigen Kunstschaffens, baute die Comic-Sprechblase in seine Bilder ein und nutzte begeistert industrielle Drucktechniken.
Sein erstes großformatiges Werk, in dem er hartkantige Figuren und Ben-Day-dots nutzt (besondere Rasterpunkte, deren Drucktechnik Ben Day erfand), war das Werk „Look Mickey“ von 1961, das heute in der National Gallery of Art in Washington D.C. hängt.
Dieses Bild entstand, als einer seiner Söhne mit dem Finger mitten in ein Micky-Maus-Buch tippte und meinte: „I bet you can’t paint as good as that, eh, Dad?“ („Ich wette, du kannst nicht so gut malen, oder, Daddy?“). Im gleichen Jahr produzierte Lichtenstein noch sechs andere Kunstwerke, auf denen bekannte Charaktere von Kaugummi-Verpackungen und Cartoons abgebildet werden, er hatte seinen Stil gefunden.
Im Jahr darauf fand er in Leo Castelli auch jemanden, der ihm durch dauerhafte Zahlungen seine Miete garantierte, wenn Lichtenstein exklusiv für seine Galerie arbeitete, eine für Castelli übliche Unterstützung, die er vielversprechenden Künstlern zukommen ließ.
Castelli hatte Lichtenstein bereits vorher ausgestellt, sich aber nicht zu einer solchen Art von Stipendium bereitgefunden. Das änderte sich nun schlagartig, denn Lichtensteins neu erfundene Kunst kam an, so sehr, dass die Einzelausstellung von 1962 in der Castelli Gallery ausverkauft war, bevor sie eröffnet hatte.
Wie Lichtenstein den internationalen Kunstmarkt so richtig auf Vordermann bringt
Was jetzt folgt, ist in Bezug auf den Künstler Lichtenstein ein Exkurs, die Repräsentanz Lichtensteins durch bekannte Galeristen und die ansteigenden Verkaufpreise seiner Bilder sind aber eine höchst interessante kleine Historie des New Yorker Galeriebetriebs und zugleich ein Bericht darüber, wie dieser Galeriebetrieb sein Geschäft an den internationalen Kunstauktionshandel verliert.
Wie schon erwähnt, konnte Lichtenstein bereits 1951 zum ersten Mal in New York ausstellen, in der Julius Carlebach Gallery, er hatte auch etwa zu dieser Zeit schon das Glück, das Interesse des progressiven Kunstförderers Leo Castelli zu erwecken, der Lichtensteins Werke ebenfalls ab den 1950er Jahren in seiner New Yorker Galerie ausstellte, und dann 1962 nach der erstaunlichen Einzelausstellung die Exklusiv-Vertretung des Künstlers übernahm, ab dieser Zeit veranstaltete Castelli regelmäßige Ausstellungen mit Lichtensteins Werken.
Vor diesem Jahr und danach entstanden noch viele Galerien in New York, die sich der modernen Kunst verschrieben, und Werke von Lichtenstein hingen irgendwann in jeder dieser Galerien: Anfangs häufig bei John Heller, in der Pace Gallery und der Brooke Alexander Gallery, bei Mary Boone und Rosa Esman, bei Marilyn Pearl und James Goodman, bei Blum Helman, Phyllis Kind, Hirschl & Adler, Getler Pall, bei Holly Solomon und Condon Riley, den Sperone Westwater Galleries und bei Mitchell-Innes & Nash.
Gegen Ende seines Lebens war seine Kunst dann auch in den Einflussbereich des mächtigen Imperiums der Gagosian Galleries geraten – man könnte sagen, Lichtenstein begleitete mit seinen Kunstwerken die New Yorker Galeriegeschichte.
Ebenfalls bereits ab den 1960er Jahren wurde Lichtenstein durch Ileana Sonnabend (ehemals Ileana Castelli) und deren Galerie in Paris präsentiert, ihr ist zu verdanken, dass für Andy Warhol, Roy Lichtenstein und andere Pop-Art-Künstler ein europäischer Markt entstand. Andere Galerien zeigten seine Kunst an anderen Orten der USA, wie die 1957 gegründete Ferus Gallery in Los Angeles.
Durch die engagierten Verkaufsbemühungen all dieser Galeristen wurde Lichtenstein zwar unaufhaltsam immer bekannter, aber den eigentlichen finanziellen Erfolg hat der Künstler einer anderen Vertriebsform zu verdanken: Schon sehr früh konnten „Lichtensteins“ herausragende Ergebnisse auf Kunstauktionen erzielen. Wie 1970 das „Big Painting No. 6“ (entstanden 1965), das in einer von der New Yorker Sotheby’s-Filiale veranstalten Auktion für 75.000 $ an den deutschen Kunsthändler und Galeristen Rudolf Zwirner ging.
Bei solchen schwächlichen Rekorden sollte es nicht bleiben, „Torpedo…Los!“ von 1963 wurde in Christie’s amerikanischer November-Auktion im Jahr 1989 bereits für 5,5 Millionen Dollar verkauft und beförderte Lichtenstein ins Dreiergestirn der für einzelne Kunstwerke höchstbezahlten Künstler.
Wo er auch blieb, in der nächsten November-Auktion von Christie’s in New York ging der 1962 erstellte „Kiss II“ für 6,0 Millionen Dollar weg, überboten von „Happy Tears“, in Christie’s Novemberauktion 2002, durch einen Kaufpreis von 7,1 Millionen Dollar.
Nun folgte ein großer und erfreulicher Sprung: 2005 wurde „In the Car“ (1963) für 16,25 Millionen Dollar verkauft, 2010 erhielt „Ohhh…Alright…“ von 1964 schon bei 42,6 Millionen Dollar den Zuschlag, 2011 wurde Lichtensteins Schlüssellochbild „I Can See the Whole Room!…and There’s Nobody in It!“ von 1961 für 43 Millionen Dollar verkauft und brachte der Witwe des Time-Warner-Geschäftsführers Steve Ross damit etwas über 2000 Prozent Gewinn (Ross hatte das Bild 1988 für 2.1 Millionen gekauft).
Alles wieder in Christie’s New Yorker Novemberauktion, nur im Jahr 2012 kam dann mal das Auktionshaus Sotheby’s an die Reihe, weil Christie’s sich auf abstrakte Expressionisten konzentrieren wollte – eine gute Idee, ein Bild von Mark Rothko ging für knapp 87 Millionen Dollar über den Tisch. Sotheby’s dagegen konnte für Lichtensteins „Sleeping Girl“ von 1964 nur 44.8 Millionen Dollar einnehmen, aber immerhin ein neuer Lichtenstein-Rekord.
In der Frühjahrsauktion 2013 kehrte die Kunst von Lichtenstein wieder zu Christie’s zurück, am 15. Mai 2013 erzielt die „Woman with Flowered Hat“ von 1963 in altgewohnter Manier einen neuen Rekordpreis von 56.1 Millionen Dollar.
Leider hat Lichtenstein selbst nur noch einen Teil der zweistelligen Millionenerfolge mitbekommen, er ist 1997 verstorben.
Man darf gespannt sein, in welche Höhen sich die Preisspirale seiner Kunstwerke noch dreht, vor allem vor dem Hintergrund aktueller Nachrichten über lange verschollene und gerade wieder aufgetauchte Bilder des Künstlers. Was hier aufgetaucht ist und wem es gehört, wird aber vermutlich noch eine Weile die Gerichte beschäftigen.
Mehr dazu – und natürlich zur ganzen restlichen Entwicklung des Künstlers – im nächsten Artikel über Roy Lichtenstein.
Passionierte Autorin mit regem Kunstinteresse