Das Colón Theater in Buenos Aires braucht keine Vorstellung. Es ist schon wegen seiner Akustik legendär und wurde von großen Sängern wie Johnas Kaufmann, Monserrat Caballé und Plácido Domingo gelobt. Jedes Jahr wird es von Orchestern und Touristen aus aller Welt besucht. Sein weitläufiger Saal und seine sieben Stockwerke wurden unzählige Male fotografiert und gelten als Symbol der Stadt. Was nur wenige wissen, ist, dass sich tief in seinem Inneren, im Untergeschoss des Theaters, eine andere Bühne befindet, die des Centro de Experimentación del Teatro Colón (Experimentallabor des Theaters), oft nur CETC genannt. Dieser 1989 gegründete Raum präsentiert und erschafft innovative Aufführungen verschiedener Genres.
In diesem Jahr hat sein Vorschlag Erik Satie: 100 Jahre – Vexations – großes Interesse geweckt. Es handelt sich um eine Marathonaufführung, bei der das Stück Vexations mindestens 840 Mal gespielt werden soll, wie es in der Überschrift des Originalmanuskripts von Satie angegeben ist. Es handelt sich bei diesem Werk um eines der ersten Beispiele für ein repetitives Arrangement – die kurze atonale Melodie wird mit zwei verschiedenen Harmonien unterlegt und dauert, einmal gespielt, nur zwischen einer und zwei Minuten. Saties Anweisungen sind klar: Um dieses Motiv 840 Mal ohne Pause zu spielen, empfiehlt es sich, sich vorher in großer Stille und ernsthafter Unbeweglichkeit vorzubereiten. Und genau das machen inszwischen viele Pianisten.
Der junge Erik Satie war Hauspianist im berühmten Salon de la Rose-Croix, einem bedeutenden Ort der Pariser Szene des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der exzentrische Kunstkritiker Jósephin Peladán befürwortete die Verschmelzung der Künste, und die Musik spielte eine wichtige Rolle in seinen jährlichen Ausstellungen. Dort lernt Satie die bildende Künstlerin Suzanne Valadón kennen, mit der er eine leidenschaftliche Liebesbeziehung eingeht, die zwar nur sechs Monate dauert, den Komponisten jedoch sein Leben lang prägen wird. Zum Abschied komponierte er Vexations, ein Stück, das seinen Schmerz nach der Trennung widerspiegelt. Die Musik ist langsam und atmosphärisch und hat einige formale Gemeinsamkeiten mit dem gregorianischen Gesang, mit dem sich Satie in jenen Jahren beschäftigte.
Es war John Cage, der einflussreiche amerikanische Komponist, der Jahre später das Manuskript in einer Privatsammlung entdeckte und beschloss, es erstmals der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Aufführung fand am 9. September 1963 zugunsten der Stiftung für zeitgenössische Kunst im Pocket Theatre in New York City statt. Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, lud Cage eine große Anzahl von Pianisten ein, darunter Cristian Wolf, John Cale und David Tudor. Die Pianisten wechselten sich in Intervallen von 20 Minuten ab. Nach Aussagen von Zeitzeugen verwandelte sich die 18 Stunden und 40 Minuten dauernde Performance in eine Art Gruppenmeditation, bei der sich der persönliche Stil und die Techniken der einzelnen Interpreten nach den ersten Wiederholungen auflösten und der Musik selbst unterwarfen.

Der Eintritt ist frei und während der gesamten Dauer des Konzerts, das von Freitag, 15. November, 20.30 Uhr, bis Samstag, 16. November, zur gleichen Uhrzeit stattfindet, möglich. Die kleine, rätselhafte und traurige Melodie verwandelt sich ständig, immer gleich und doch immer anders, in einem dunklen Raum, begleitet nur von einem abstrakten Video in neutralen Farbtönen, dessen Rhythmus im Kontrast zur Melodie steht.
Bereits gestern Abend umgab eine lange Schlange das Theater, was deutlich die Begeisterung des Publikums für diese Art von neuartigen Erlebnissen zeigt. Der Saal bietet Platz für zweihundert Personen, die auf Sesseln oder bequemen Kissen sitzen. Die Entfernung zum Interpreten ist minimal, und mit jeder Wiederholung wird die Musik zu purer Zeit, zu einer Einladung, sich mit sich selbst und mit anderen, die diese Erfahrung teilen, zu verlieren und wiederzufinden. Ich bin kein Fan von Satie, mein Lieblingsstück ist eigentlich seine Gnossiennes 1, vielleicht das tonalste und fröhlichste aller seiner Stücke, also kein Satie im wahren Sinne des Wortes. Aber wenn Sie in Buenos Aires sind, sollten Sie sich diese Möglichkeit nicht entgehen lassen. Es ist ein einzigartiges Erlebnis!

Laura Ragucci ist eine vielseitige Persönlichkeit, die als Kunstkritikerin, Lehrerin, Künstlerin und Fotografin tätig ist. Ihre Leidenschaft für Kunst und Kultur wird durch ihre umfangreichen Reiseerfahrungen bereichert, die ihr erlaubt haben, verschiedene kulturelle Einflüsse in ihre Arbeit zu integrieren.
Nach Jahren des Sprachenstudiums und einer Beschäftigung mit Informatik hat sie sich dem kreativen Ausdruck durch Fotografie und Schreiben zugewandt. Seit 2020 widmet sie sich vorwiegend der Kunstkritik, gestützt auf ihr Studium an der Nationalen Universität für Kunst (UNA).
Ihre Kunstrezensionen verfasst sie aus reiner Freude am künstlerischen Diskurs. Laura verkörpert den Geist einer unermüdlichen Entdeckerin, deren Neugier sie auf vielfältige Wege geführt hat.






